Maschinen, Automaten oder Computerprogramme, die für eine konkrete Tätigkeit beziehungsweise für einen bestimmten Prozessablauf erschaffen worden sind, arbeiten stupide und monoton, aber dafür fehlerfrei. Das gilt beispielsweise in der Wissenschaft auch für Zitationsdatenbanken, denen heute bei der Bewertung von wissenschaflticher Reichweite und Bedeutung eine große Rolle zugeschrieben wird. Wer häufig in anderen wissenschaftlichen Publikationen zitiert wird, ist wichtig. Die Datenbank erlaubt da keine Tricksereien, der Output ist objektiv. Die Netzwerkforscherin Dr. Terje Tüür-Fröhlich von der Johannes Kepler Universität Linz hat Zweifel an dieser allgemein angenommenen Objektivität von Zitationsdatenbanken - mit erheblichen Folgen für die Rezeption von Wissenschaft. In ihrer Dissertation hat sie sich mit Indexierungsfehlern in Zitationsdatenbanken, also Falschschreibungen von Autorennamen, beschäftigt. Dabei untersuchte sie die Auswirkungen und Probleme, die diese scheinbar trivialen Fehler mit sich bringen. Im Interview erläutert sie, warum die Auswirkungen einer falschen Indexierung keineswegs belanglos sind, welche Folgen die Ökonomisierung von Wissenschaft hat und wie sie über dieses außergewöhnliche Thema "gestolpert" ist.
"Interkulturelle Missverständnisse"
L.I.S.A.: Frau Dr. Tüür-Fröhlich, Sie haben im Rahmen Ihres Dissertationsprojekts zur Wissenschaftskommunikation über Fehler in Datenbanken, genauer über Indexierungsfehler in Zitationsdatenbanken geforscht.[1] Wie kamen Sie zu diesem recht nüchtern klingenden Thema? Welche Beobachtung ging Ihrem Thema voraus?
Tüür-Fröhlich: Es geht mir um Fehler in oder Falschschreibungen von AutorInnennamen und anderen bibliographischen Angaben in Zitationsdatenbanken und deren Auswirkungen. Ein interessantes kulturwissenschaftliches Thema ist dabei auch der Umgang mit Fehlern und mit Kritik in verschiedenen Kulturen (Galtung).
Ich bin über mein Thema einfach "gestolpert". Wenn Sie so wollen, habe nicht ich mir mein Thema gesucht, sondern mein Thema mich. Beruflich bin ich bei Datenbankrecherchen über viele seltsame Fehler gestolpert und habe mich gewundert: Warum schreibt niemand darüber, warum ist das ein Nicht-Thema? Nachdem ich meinen Lebensmittelpunkt von Estland nach Österreich verlegt hatte, wurde das Thema auch privat virulent, aufgrund meines typisch estnischen Nachnamens Tüür, mit Doppel-Ü. Häufig unterstellen mir deutschsprachige Personen, ich könne meinen Namen nicht richtig schreiben, denn das Wort „Tür“ (in deutscher Sprache) schreibe man ja bekanntlich nur mit einen „ü“. Mein Vorname Terje ist in Estland ein Frauenname, in Skandinavien jedoch ein gängiger Männername. Auch im deutschsprachigen Raum werde ich aufgrund der Endung laufend als Mann eingestuft. So waren und sind verschiedene interkulturelle Missverständnisse vorprogrammiert. Verschiedene Probleme, da bin ich ganz beim tschechischen Kulturphilosophen Vilém Flusser, der vor den Nazis nach Brasilien flüchten musste, können wir fast nur als MigrantInnen erkennen, weil uns die „Watte der Gewohnheit“ (Flusser) abhandengekommen ist. Daher habe ich mir als Migrantin die Freiheit genommen, dieses Thema zu meinem Forschungsthema zu deklarieren.
L.I.S.A.: Sie haben Ihre Dissertationsarbeit „The Non-trival Effects of Trival Errors in Scientific Communication and Evaluation” genannt. Können Sie uns das Wortspiel rund um “trival” auflösen? Was ist mit “non-trival effects” und mit „trival errors“ gemeint? Haben Sie ein oder zwei Beispiele für uns?
Tüür-Fröhlich: Alles hat in den Hierarchien der Wissenschaften einen Status (Pierre Bourdieu). Es gibt honorige Fehler, über die Wissenschaftstheoretiker und -historiker honorige Studien geschrieben haben. Es gibt „andere“ Fehlerkategorien wie z.B. Materialfehler und menschlich verursachten Fehler, wie z.B. Beobachtungsfehler, Kalibrierungsfehler oder unsaubere Petrischalen. Aufgrund der hochgradigen Digitalisierung der Wissenschaftspraxis habe ich mein Augenmerk auf EDV-induzierte Fehler gelegt. In den Informationswissenschaften werden Fehler in bibliographischen Angaben oder Datenbankeinträgen als triviale bzw. banale eingestuft. Aufgrund des hohen Stellenwerts von Zitationsdatenbanken als Datenlieferanten für Uni-Rankings und andere Evaluationen ist die Bezeichnung „trivial“ in diesen Kontext irreführend, denn sie verniedlicht, sie lässt diese Fehler als klein und bedeutungslos erscheinen.
In meiner Studie habe ich das „Indexierungsschickschal“ des weltberühmten französischen Philosophen und Soziologen Pierre Bourdieu in der Zitationsdatenbank SSCI (Social Sciences Citation Index) analysiert. Das Resultat: Es zeigten sich mehr als 85 Mutationen, Verstümmelungen, Namensverluste. Ich habe eine sechsstufige Typologie erstellt, beginnend mit Fehlern eher banalerer Art („Bordieu“ ohne „u“, „Boudieu“ ohne „r“) über den Fehlertyp 3: Substitution durch andere Autorennamen (z.B. fand sich der Leistungspsychologe Rowland Atkinson als Autor von Bourdieus Hauptwerk „La distinction“) bis zum Fehlertyp 6: Verwechslung von Vor- und Nachnamen bei der Indexierung, d.h. anstatt Bourdieu P war entweder Pierre B oder sogar Pierri B. (zusätzlicher OCR-Fehler) indexiert. Diese Fehler sind aber keineswegs irrelevant (trivial), weil die Datenbank-Software Zeichenketten (strings) vergleicht, und hier sind bereits kleine Abweichungen folgenschwer. Sinkt die Zahl richtig indexierter Publikationen und damit gezählter Zitationen aufgrund fehlerhafter Daten hat dies negative Auswirkungen für einzelne WissenschaftlerInnen, Journale, Universitäten in Evaluierungen. Das meine ich mit nicht-trivialen Effekten.