L.I.S.A.: Was sind die Marksteine der deutsch-israelischen Fußballfreundschaft? Wer oder was erinnert wie daran?
Dr. Herzog: Wissenschaftliche Forschungen, die aus den Quellen und Archiven schöpfen, sind wegen der geltenden Sperrfristen erst seit den 1990er Jahren möglich. Wahre Pionierarbeit hat auf diesem Feld der Kölner Sporthistoriker Professor Manfred Lämmer geleistet, der sich nicht nur in den Archiven glänzend auskennt, sondern auch über hervorragende Kontakte zu israelischen Behörden, Politikern und Spielern verfügt und nicht zuletzt zu den führenden Experten der Geschichte der Juden im Sport gehört. Überdies war er 1963 Mitglied der ersten Gruppe deutscher Sportstudierender, die nach dem Holocaust nach Israel reisen durfte. Schon in den 1960er Jahren war er maßgeblich an der Gründung des bilateralen Sportverkehrs in der Leichtathletik beteiligt. Insofern ist er selbst nicht nur ein wichtiger Forscher, sondern auch ein Pionier der Sportpolitik und wichtiger Zeitzeuge der Fußballfreundschaft, die Israel und Deutschland verbindet. Als Akademiedirektor bin ich sehr glücklich, dass Professor Lämmer diese Tagung mit seiner Fachkompetenz möglich gemacht hat.
Ebenso wichtig ist die Kulturstiftung des Deutschen Fußball-Bundes, die das Thema sehr ernst nimmt und diese Konferenz großzügig unterstützt. Der Deutsche Fußball-Bund hat von 1957 an durch finanzielle Unterstützung beispielsweise eine Reise Willi Daumes, Jahrzehnte lang Präsident des Deutschen Sportbundes und Präsident des Nationalen Olympischen Komitees für Deutschland, sowie Fahrten der Deutschen Sporthochschule Köln nach Israel möglich gemacht. Das war Sportdiplomatie zu einer Zeit, als die Politik noch keine offiziellen Beziehungen aufgenommen hatte.
Was ebenfalls nicht vergessen werden sollte: Carl Diem, der Vordenker und Organisator des deutschen Sports und langjährige Rektor der Sporthochschule Köln, der von der NS-Presse als „weißer Jude“ beschimpft worden war und im israelischen Sport hohe fachliche Anerkennung genoss, begann bereits im Jahr 1945, die ersten Kontakte zu Israel herzustellen. Dies gelang ihm teils mit der Hilfe ehemaliger Absolventen der Deutschen Hochschule für Leibesübungen in Berlin, von denen etliche nun in Israel lebten. Über diese sehr spannenden sporthistorischen Verbindungen hat jüngst Robin Streppelhoff, einer der Schüler Manfred Lämmers, intensiv geforscht. Er referiert ebenfalls auf unserer Tagung.
L.I.S.A.: Können Sie weitere konkrete Beispiele nennen?
Dr. Herzog: Interessant ist, wie gesagt, dass die ersten Kontakte im Fußball schon früher datieren als die Aufnahme der offiziellen diplomatischen Beziehungen vor einem halben Jahrhundert. Unter dem Eindruck des Gewinns der Fußballweltmeisterschaft 1954 durch die deutsche Ländervertretung hatte der Israelische Fußballverband damit begonnen, seine besten Trainer nach Köln zu schicken, wo sie das Trainerdiplom erwerben konnten. So auch der ehemalige israelische Nationalspieler Emanuel Schaffer, der unter Hans „Hennes“ Weisweiler, der Trainerlegende von Borussia Mönchengladbach, den DFB-Trainerlehrgang an der Sporthochschule Köln absolvierte. Schaffer war übrigens der erste Israeli, der mit Rhenania Würselen eine deutsche Fußballmannschaft trainierte. Israel war unter Schaffers Leitung das bis heute einzige Mal bei einer Fußballweltmeisterschaft (Mexiko 1970) vertreten, und hatte sich im Sommer 1969 in einem dreiwöchigen Trainingslager in der Sportschule Hennef auf den Wettbewerb vorbereitet. Das Trainingslager endete mit dem ersten Länderspiel zwischen Deutschland und Israel am 2. September 1969.
Damals intensivierten sich die Fußballbeziehungen auch auf anderen Ebenen. So spielte Mitte 1969 der FC Bayern Hof unter der Leitung des populären Sportreporters, Kommentators, Regisseurs und Kabarettisten Sammy Drechsel als erster deutscher Verein in Israel. Dass sich danach mehrere israelische Erstligisten nach Deutschland aufgemacht haben, bezeichnet Manfred Lämmer sehr zu Recht als ein „Sommermärchen“. Uwe „Klima“ Klimaschefski, der auf unserer Tagung als Zeitzeuge spricht, ging 1970 als erster deutscher Trainer nach Israel, zu Hapoel Haifa, und 1972 wurde mit Shmuel Rosenthal der erste Israeli als Profikicker von Borussia Mönchengladbach in die Bundesliga verpflichtet. Von großer Bedeutung waren insbesondere die insgesamt 27 Freundschaftsspiele, die Borussia Mönchengladbach seit 1970 in Israel austrug. Das erste Spiel am 25. Februar 1970 im Bloomfield-Stadion von Tel Aviv-Jaffa soll einen wahren „Freudentaumel“ unter den Zuschauern ausgelöst haben, der eine größere völkerverbindende Kraft entwickelt habe als die damalige politische Diplomatie. Ich freue mich sehr, dass mit Mordechai „Motti“ Spiegler, Jochanan Wallach und Herbert Laumen mehrere Spieler, die in dieser Zeit aktiv waren, auf unserer Tagung als Zeitzeugen sprechen werden.
Aber es dauerte noch geraume Zeit, bis etwa die klare Aufteilung, dass Araber in Israel – im Gegensatz zu den Juden – der deutschen Nationalmannschaft die Daumen drücken, aufgeweicht wurde. Nach Moshe Zimmermann, einem israelischen Sozialhistoriker, der auf unserer Tagung als Referent über dieses Thema spricht, hat sich das seit der Jahrtausendwende geändert. Viele Israelis empfinden das fußball-patriotische Deutschland nicht mehr als feindlich, stattdessen begeistern sie sich für den Bundesligafußball – wie übrigens auch die Briten. Wenn sich die israelische Fußballnationalmannschaft demnächst wieder für eine Weltmeisterschaft oder überhaupt zum ersten Mal für eine Europameisterschaft qualifizieren sollte, dann geschieht das gewiss auch Dank der Aufbauarbeit eines Deutschen. Denn derzeit ist Michael Nees in Israel für das Training der U21 zuständig. Auch er wird auf unserer Konferenz als Diskussionsteilnehmer über die zwischen Israel und Deutschland ausgespannte Brücke des Fußballs und den Jugendaustausch berichten.