Fast zehn Jahre saß Erich Sander, Sohn des berühmten Kölner Fotografen August Sander, als Häftling in der Strafanstalt in Siegburg ein. Sander was als Sozialist während der NS-Zeit in Köln im Widerstand aktiv und wurde 1935 in einem aufsehenerregenden Prozess wegen Vorbereitung zum Hochverrat verurteilt. Im Zuchthaus setzte er seine Widerstandstätigkeit fort – als Gefängnisfotograf dokumentierte er die Situation der politischen Gefangenen und schmuggelte zahlreiche Briefe und Fotografien aus der Haftanstalt nach draußen. Durch diese Aktivitäten entstand eine einzigartige Dokumentation der Situation im Zuchthaus Siegburg. Eine umfassende Ausstellung im NS-Dokumentationszentrum Köln zeigt das politische und private Leben und Werk Erich Sanders sowie zahlreiche Fotografien seines Vaters. Wir haben Kurator Dr. Jürgen Müller einige Fragen zur Ausstellungskonzeption und zur Person Erich Sander gestellt.
"In diesem Verhalten war unter anderem seine hohe Haftstrafe begründet"
L.I.S.A.: Herr Müller, das NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln zeigt zurzeit eine Ausstellung über Erich Sander mit dem Titel „August Sanders unbeugsamer Sohn“. Wer war Erich Sander? Und warum die hervorgehobene Referenz auf den Vater?
Dr. Müller: Erich Sander, Sohn einer bürgerlichen Familie, war bereits in jungen Jahren Kommunist. Er trat der KJVD und später der KPD bei. Er war als Funktionär tätig. Nach einem Strategiewechsel der KPD, umgesetzt seit Sommer 1928, entfremdete sich Erich Sander von der KPD immer stärker. Während die KPD die Strategie einer vorrangigen Bekämpfung der SPD als „Sozialfaschisten“ folgte, war Erich Sander für eine Einheitsfront mit der SPD. Anfang 1929 wurde Erich Sander aus der KPD ausgeschlossen. Im April 1932 trat Erich Sander in die Sozialistische Arbeiter-Partei Deutschlands (SAPD) ein. Dort hielt er Vorträge, stieg zum führenden Funktionär der SAPD für den Raum Köln auf. Nach der Machtübernahme der NSDAP setzte er seine Arbeit in der Illegalität fort. So schmuggelte er unter anderem verbotene Zeitungen nach Köln. Im Herbst 1934 wurde er verhaftet. Ende Mai 1935 wurde er wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ in einem Prozess vor dem Oberlandesgericht Hamm zu einer Haftstrafe von zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Erich Sander machte aus seiner Einlassung vor Gericht eine Anklage gegen den Nationalsozialismus und die Methoden der Gestapo. Auf seine Initiative hin präsentierten die Mitangeklagten ihre Folternarben. In diesem Verhalten war unter anderem seine hohe Haftstrafe begründet. Die Haftstrafe verbüßte er größtenteils im Zuchthaus Siegburg. Dort musste er unter anderem als Lazarettflurwärter und als Gefängnisfotograf arbeiten. Ein Gnadengesuch, für das er seiner kommunistischen Gesinnung hätte abschören müssen, lehnte er ab. Ein halbes Jahr vor Ende seiner Strafhaft, starb Erich Sander in Folge einer Fehldiagnose und unterbliebener ärztlicher Versorgung.
Der Vater hatte wesentlichen Einfluss auf die fotografische Arbeit des Sohnes. Erich Sander fertigte zwischen 1914 und 1934 rund 1100 Fotografien - vor allem Landschaftsaufnahmen - für den Vater an. Erich Sander wollte das Werk seines Vaters fortführen. Noch in der Haft korrespondierten die Eltern mit dem Sohn über die Auswahl von Aufnahmen für Fotobände. Im politischen Bereich entwickelte sich August Sander während des Kriegs vom Hurra-Patrioten zum Pazifisten und Sozialisten. Im väterlichen Atelier lernte Erich Sander linke Intellektuelle und linke Künstler (wie die Kölner Progressiven) kennen. Vater und Mutter hielten während der Haftzeit zu ihrem Sohn Erich einen engen Kontakt. Neben den Haftbesuchen und der offiziellen Korrespondenz wurden Briefe aus der Haft heraus und Objekte wie beispielsweise eine Kamera und Bücher in die Strafanstalt hinein geschmuggelt. August Sander brachte politische Manuskripte des Sohnes und kommunistische Presseerzeugnisse vor dem Bombenkrieg in Sicherheit und begab sich dabei selbst in Gefahr von der Gestapo entdeckt zu werden. Die Bedeutung des Verlustes seines Sohnes für August Sander wird in dessen Trauer deutlich. In seiner Wohnung im Westerwald (nach dort siedelten August und Anna Sander 1942/43 um) hatte August Sander neben seinem Sekretär eine Art Altarwand für den toten Sohn.