Der Fußball gehört heute zu den populärsten Sportarten der Welt. Für Politikerinnen und Politiker bietet er daher auch immer wieder eine willkommene Bühne, um sich volknah zu präsentieren. Im Stadion scheinen Regierende und Regierte zusammenzukommen, vereint zu einer Gemeinschaft. Der Historiker Dr. Rudolf Oswald spricht in diesem Zusammenhang von der "Fußball-Volksgemeinschaft" und hat über Ideologie, Politik und Fanatismus im deutschen Fußball geforscht. Wir haben ihn dazu befragt.
"Der Fußball eignet sich besonders für politische Zwecke"
L.I.S.A.: Herr Dr. Oswald, Sie haben sich intensiv mit Ideologie, Politik und Fanatismus im deutschen Fußball beschäftigt, dazu unter anderem Ihre Doktorarbeit geschrieben. Inwiefern eignet sich der Fußball als Bühne für Politiker bzw. für politische Zwecke? Und warum?
Dr. Oswald: Im Fußball haben Politiker bereits im Stadion ein Publikum vor sich, das mindestens 50.000 Zuschauer umfasst. Nimmt man das Fernsehen hinzu, so geht das Publikum in die Millionen – das kann kein anderes Event, das kann keine Fernsehübertragung mit rein politischem Inhalt bieten.
Die ersten, die in Deutschland das politische Potential des Stadions erkannten, waren nationalsozialistische Lokalpolitiker. NS-Bürgermeister realisierten als erste, dass sie sich mittels Auftritten in den Sportarenen innerhalb der unstrukturierten Hierarchie des Dritten Reiches profilieren konnten. Nach 1945 knüpften in diesem Punkt zahlreiche Kommunalpolitiker Westdeutschlands an ihre NS-Vorgänger in den Amtsstuben an. Auf der Ebene der Bundespolitik herrschte bis in die 1980er Jahre hinein noch Zurückhaltung – die Kabinette Adenauer bis Schmidt interpretierten die Instrumentalisierung des Sports als unzweckmäßiges außenpolitisches „Auftrumpfen“. Seit der Kanzlerschaft Helmut Kohls ist jedoch eine radikale Wende eingetreten. Höhepunkte dieser neueren Entwicklung bilden sicherlich die spontanen Flüge Angela Merkels zu den K.-O.-Runden der Weltmeisterschaften.
Heutzutage eignet sich der Fußball besonders für politische Zwecke, weil dort vom Politiker eben keine politischen Aussagen erwartet werden – wir haben hier „Repräsentanz pur“ vor uns. Kanzler, Minister etc. laufen im Sport nicht Gefahr, Verfängliches von sich zu geben. Fußball dient den Sympathiewerten der politischen Entscheidungsträger, er schadet ihnen aber nicht.