Wenn man sich zum ersten Mal in der Marmarica bewegt, gelegen zwischen der Kyrenaika und dem Mariotis-See, so scheint es, als ob in jener trockenen Region Leben nur in einer sehr begrenzten Art und Weise stattgefunden haben kann, zu karg wirkt die weite Landschaft.
Neue Forschungen basierend auf hydrologischen, bodenkundlichen und archäologischen Surveys zeigen jedoch ein ganz anderes Bild: Die wissenschaftlich bislang fast unbekannte antike Marmarica ist übermäßig reich an materiellen Hinterlassenschaften und damit an Spuren menschlichen Wirkens!
Anhand der Daten aus fünf Jahren Feldarbeit konnte ein umfassendes siedlungsgeschichtliches Bild erstellt und ein Eindruck über die landwirtschaftlichen Techniken in der Antike gewonnen werden:
Datierungen von Bodenproben künstlich angelegter Terrassierungen auf dem Tafelland und in den Wadis weisen darauf hin, dass Menschen Flächen zur landwirtschaftlichen Nutzung teilweise schon ab der Bronzezeit - vor allem aber in ptolemäisch-römischer Zeit geschaffen haben. Aus ptolemäisch, vermehrt jedoch aus römischer Zeit, stammen auch mehr als vierzig erfasste Töpferwerkstätten, in denen Amphoren, aber auch Gebrauchs- und Kochkeramik hergestellt wurden - weitere dreißig konnten anhand von Satellitenbildern geortet werden.
Allein diese enorme Anzahl an Produktionsstätten zeigt, dass die Marmarica in der Antike nicht nur landwirtschaftlich besser genutzt worden ist als in der heutigen Zeit, sondern bezeugt einen wirtschaftlich blühenden, fast industriellen Charakter mit einer Produktion von Naturgütern weit über den Eigenbedarf hinaus.
Die vergangene Feldkampagne, die zugleich der Abschluss des 2004 ins Leben gerufenen Projekts Marmarica war, diente dem Zweck offene Fragen zu klären, Modellbeispiele zu erstellen und die Keramikdokumentation vollständig abzuschließen.
Gerade letzteres war von großer Wichtigkeit, da die Keramik nicht länger im Magazin des Antikendienstes in Marsa Matruh gelagert werden konnte.
Die Keramikdokumentation bestand fast ausschließlich aus der Aufnahme letzter Stücke aus den Produktionsstätten, zumeist Amphoren des Typs AE 3 (Amphore Egyptienne 3) und Variationen, die im Laufe der nächsten Monate näher typologisch und chronologisch eingeordnet werden. Ihre Auswertung stellt eine Grundlage der Amphorenforschung in der Marmarica dar und kann in Ägypten und über die Grenzen hinaus einen entscheidenden wirtschaftsgeschichtlichen Beitrag leisten.
Des weiteren wurden Keramikproben aus den unterschiedlichen Produktionsstätten vorbereitet. Ihre Auswertung am IFAO (Institut Francais d´Archéologie Orientale) in Kairo wird gegen Ende des Jahres erwartet, wobei nicht nur die Tonzusammensetzung, sondern auch die Herkunft des Tones bestimmt werden soll. Die Frage nach Tonlagerstätten in der Marmarica, im Untersuchungsgebiet konnte aus bodenkundlicher Sicht schon beantwortet werden – die petrographische Analyse steht nun aus.
Nochmals wurde eine enge Auswahl an Produktionsstätten durch topographische Vermessung (RTK-GPS) aufgenommen und graphisch umgewandelt. Sie sollen einmal mehr den Aufbau und die Dimension der Anlagen klären.
2008 war eine Ofenanlage in Wadi Qasaba exemplarisch untersucht worden. Neben den deutlich erhaltenen Mauerstrukturen von Werkhallen, die zum Fertigen und Lagern der Ware dienten und in direktem Verbund mit dem Ofen standen, konnte dort eine Pressanlage für Wein mit großen Becken in unmittelbarer Nachbarschaft freigelegt werden.
Gleicher Aufbau wurde jetzt bei einer großen Anzahl an Produktionsorten nachgewiesen. Der Weg von der Herstellung des Gefäßes bis zur Befüllung mit der eigentlichen Handelsware – dem Wein - auf eng begrenztem Raum darf demnach in vielen Fällen als Standard gesehen werden.
Wo aber wurde dieser Wein angebaut? Dass der Weinanbau einen nicht zu unterschätzenden Bestandteil der Landnutzung in der Antike darstellte, war eine unserer Arbeitshypothesen, wobei zunächst nur ein Papyrus dieser Erkenntnis zugrunde lag, archäologisch gestützt durch die Pressanlagen. Wo genau diese Weinfelder situiert waren, konnte bislang jedoch nicht geklärt werden. Bereits in den vergangenen Jahren waren bei der Auswertung von Satellitenbildern und ersten Begehungen kleine Steinansammlungen ins Auge gefallen, die streng nebeneinander gereiht nicht natürlich entstanden sein konnten. Diese Vermutung konnte 2010 bestätigt werden, denn angelegte Schnitte durch einige der Hügel bestätigten keine natürliche Entstehung. Stattdessen darf man wohl eben jene Steinanhäufungen als antike „Pflanzhügel“ für Wein, sog. teilat el einab betrachten.
Vielleicht ist die antike Marmarica eine der wenigen Orte, an denen eine „chaine d´operatoire“, also die Entstehung des Gefäßes angefangen bei dem Tonabbau bis zur Befüllung (siehe eg. Weinanbau) nachgewiesen werden kann. Vielleicht sogar einmal mehr ein Paradebeispiel in Bezug auf landwirtschaftliche Nutzung und wirtschaftliche Strukturen in der Antike.
Der Kreis, der sich in den letzten Jahren durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit und den regen Austausch aufbaute, schließt sich langsam. Fragen bleiben - doch wir kehren hoffentlich bald zurück in das weite Feld - Marmarica.
Heike Möller, München
Bibliographie:
H. Möller zusammen mit:
Th. Vetter, A.-K. Rieger, O. Klammer, Water, Routes and Rangelands: Ancient Traffic and Grazing Infrastructure in the Marmarican Desert Areas (Northwestern Egypt), in: H. Riemer, F. Förster (Hrsg.), Desert Road Archaeology in the Eastern Sahara. (im Druck).
A.-K. Rieger, Th. Vetter, The Desert Dwellers of the Marmarica (Western Desert) as a Case Study for the Eastern Desert, in: H. Barnard, The History of the Peoples of the Eastern Desert. (im Druck).
A.-K. Rieger, Kilns, Commodities and Consumers – Greco-Roman Pottery Production in Eastern Marmarica (Northwestern Egypt). (eingereicht bei AA).
Weitere Publikationen zum Projekt:
G. Brands, A.-K. Rieger, T. Vetter, M. Zierdt, Bauern, Städter, Hirtennomaden am Rande der Ökumene. Siedlungs- und Lebensformen in der antiken Marmarica (Nordwestägypten), AW 37.3, 2006, 89-96.
A.-K. Rieger, Archäologie eines ariden Raumes: die Strukturierung einer ressourcenarmen Landschaft durch den Menschen am Beispiel der antiken Marmarica (Nordwestägypten), in: R. Kath, A.-K. Rieger (Hrsg.): Raum – Landschaft – Territorium. Zur Konstruktion physischer Räume als nomadischer und sesshafter Lebensraum. Nomaden und Sesshafte 11 (Wiesbaden 2009) 71-99.
T. Vetter, A.-K. Rieger, A. Nicolay, Ancient rainwater harvesting system in the north-eastern Marmarica (north-western Egypt), Libyan Studies 40, 2009, 9-23.
T. Vetter, A.-K. Rieger, O. Klammer, M. Fuchs, A. Nicolay, Spätholozäne Abfluss- und Sedimentdydnamik im semiariden Nordwest-Ägypten und ihre anthropogene Modifikation, in: S. Walther, H. Weier, E.-P. Löhnert (Hrsg.), AdG Afrikagruppe deutscher Geowissenschaftler Jahrestagung 2008 in Halle, Africa 2008 - Resources, Research and Regulations, Zentralblatt für Geologie und Paläontologie, Jg. 2008, Teil 1, Heft 1/2 (2009).