L.I.S.A.: Herr Professor Makris, Griechenland befindet sich politisch, wirtschaftlich und auch im Hinblick auf die politische Kultur in der möglicherweise schwierigsten Lage seit dem Ende des Bürgerkriegs Ende der 1940er Jahre. Kaum noch jemand traut dem Land und seinen Menschen zu, die Krise zu bewältigen. Sie auch nicht?
Prof. Makris: Die Staatsfinanzen, die „Schuldenkrise“ in ihren aktuellen Dimensionen, lässt sich in der Tat nicht bewältigen, auch nach dem Schuldenschnitt von 100 Milliarden nicht, es sei denn, der insgesamt kontraproduktive griechische Staat wird grundlegend reformiert, d.h. radikal reduziert, während die zuständigen internationalen Finanzinstitutionen (E.U., IWF, EZB) den Versuch langfristig mit Qualitätskontrollen begleiten.
Ansonsten finde ich zwar, dass Politik und politische Kultur stark zu wünschen übrig lassen, möchte jedoch hinzufügen, dass sich das politische Leben des Landes in einem demokratisch tadellosen, freiheitlichen Rahmen entfaltet, der institutionell europäischen Standards durchaus entspricht. Gewiss hat die politische Kultur noch lange nicht das Niveau des Vereinigten Königreichs, Nachkriegsdeutschlands oder der skandinavischen Länder erreicht; der Nepotismus etwa ist nach wie vor gegenwärtig – unter fünf Ministerpräsidenten der letzten zwanzig Jahren waren zwei Neffen, zwei weitere Söhne von Ministerpräsidenten, während etwa ein Drittel der Familiennamen der jetzigen Parlamentarier ein Jahrhundert zuvor in den Listen der Volksvertreter ebenfalls vorkam; wesentliche Teile der im Parlament vertretenen Linken sind leider bekennende Stalinisten; nicht wenige Konservative lassen sich bestenfalls als Rechtspopulisten einstufen; Prominente, ja Parlamentarier, haben sich explizit und wiederholt antisemitisch und rassistisch geäußert. Insgesamt aber funktioniert die Demokratie in Griechenland heute vorzüglich.
Um ganz offen auf die Frage zu antworten: Teilen des amtierenden politischen Personals und der vorhandenen Strukturen traue ich es nicht zu, dem Land aber insgesamt und seinen Menschen traue ich es durchaus zu, wenn sie sich vom Würgegriff des Staates befreien und weiterhin effiziente Unterstützung - keine bloßen Kredittranchen! - seitens der europäischen Partner erhalten, die Krise zu bewältigen (und somit unverhofft der europäischen Idee einen Sonderdienst zu erweisen).