L.I.S.A.: Von einer baskischen oder katalanischen Nation zu sprechen, ist für den spanischen Zentralstaat eine Herausforderung. Ist es im Falle der Basken und Katalanen gerechtfertigt von Nationen statt von Regionen zu sprechen?
Dr. Eser: Diese Frage steht im Zentrum der politischen Auseinandersetzung, ihre eindeutige Beantwortung ist nur schwer möglich, ohne sich auf die eine oder andere Seite zu stellen. Vereinfachend dargestellt erkennt der konsequente spanische Nationalismus nur das Konstrukt der einheitlichen spanischen Nation an, während die minoritären Nationalismen in der baskischen, katalanischen und auch galicischen Peripherie behaupten, dass im spanischen Staat mehrere Nationen existieren, denen ihre politischen Rechte zuzugestehen sind. Im Jahr 2006 beschloss das katalanische Parlament mit großer Mehrheit ein neues Autonomiestatut, in dessen Präambel Katalonien als Nation definiert wurde. Eine Bestimmung, die das spanische Verfassungsgericht 2010 als verfassungswidrig einschätzte, da sie ein Überschreiten der Kompetenzen des katalanischen Regionalparlaments darstelle. Das regionale Parlament Kataloniens könne nicht solche weitreichenden, die Verfassung des spanischen Staates betreffenden Bestimmungen treffen. Grundlegende Aussagen zur spanischen Verfassung könne nur die spanische Nation, das einzige nationale Rechtssubjekt der demokratischen Verfassung, und dessen parlamentarische Vertretung treffen. Sie sehen: zwei verschiedene Weisen, Ihre Frage, die eine große politischen Sprengkraft besitzt, zu beantworten. Zwei verschiedene Definitionen von Nation, die sich offensichtlich widersprechen und unvereinbar erscheinen. Der Protest gegen das „Nein“ des spanischen Verfassungsgerichts lockte im Juli 2010 über eine Millionen Katalanen in Barcelona auf die Straße.
L.I.S.A.: Welche Rolle spielen im Spannungsfeld von Nationalismus und Globalisierung die beiden Metropolen Barcelona und Bilbao?
Dr. Eser: Metropolen sind stets Aushängeschilder, für das „Land“, die Region oder die Nation. Die mentalen Repräsentationen der Städte und die Stadtbilder sind von großer Bedeutung für die verschiedenen kollektiven (urbanen, regionalen, nationalen etc.) Selbstentwürfe. Die Diskurse über die Metropolen, deren Veränderung und Entwicklungsperspektiven haben einen großen Einfluss auf die identitäre Selbstkonzeption, wie am Beispiel Barcelonas und Bilbaos nachgezeichnet wird. Beide Städte unterlagen seit den 1980er Jahren großen Veränderungen und Umstrukturierungen, die seitens der Akteure der Nationalbewegungen sowohl kritisch begutachtet als auch zu beeinflussen versucht wurden. Die Metropolenpolitik war zugleich Anlass zur wie auch Mittel der Aktualisierung der nationalen Ideologie. Im Baskenland hat der bürgerliche Mehrheitsflügel der Nationalbewegung, der Partido Nacionalista Vasco (PNV), die Vision einer baskischen Global City entworfen und die globale Integration der Stadt und des Baskenlandes unter der gleichzeitigen Modernisierung ihres nationalen Profils befürwortet. Durch die Förderung einer spezifischen Entwicklung der lokalen Wirtschaft sollte eine kulturelle Eigendynamik in Gang gesetzt werden, die der Stadt einen besonderen kulturellen Eigenwert verleihen sollte. Den Metropolen oder großen, bedeutenden Städten kommt in der Selbstfindung der Nationen im globalen Kontext eine besondere Rolle zu; sie sollen, so die weithin geteilte Annahme, markante, sichtbare Punkte auf der internationalen Landkarte darstellen, die über einen distinkten kulturellen Charakter verfügen und durch eine kulturelle Eigendynamik gekennzeichnet sind. Fragen der internationalen Aufmerksamkeit und Strategien der Sichtbarmachung verschränken sich mit Auseinandersetzungen über die kulturelle Identität und nicht zuletzt mit dem Kalkül der ökonomischen Selbstvermarktung der Stadt – z.B. als attraktive Tourismusdestination oder als innovativer Hochtechnologiestandort. Dieser Komplex macht deutlich, dass die Globalisierung sehr verkürzt behandelt wird, wenn sie auf die ökonomische Dimension reduziert wird.