Die nationalsozialistische Freizeitorganisation "Kraft durch Freude" (KdF) hatte für die NS-Führung eine zentrale Funktion: das Freizeitverhalten der Bevölkerung zu gestalten und darüber das Gefühl einer "Volksgemeinschaft" zu befördern. Der Betriebssport bot dabei einen direkten Zugriff auf die Aktivitäten und Köpfe der Werktätigen nicht nur am Arbeitsplatz, sondern auch am Feierabend. Die Historikern Dr. Julia Timpe von der Jacobs University Bremen hat den Komplex KdF, Betriebssport und Freizeit untersucht und ihre Ergebnisse im Band "Sport und Nationalsozialismus" veröffentlicht. Wir haben ihr dazu unsere Fragen gestellt.
"Angehörige der Arbeiterklasse für das NS-Regime gewinnen"
L.I.S.A.: Frau Dr. Timpe, Sie haben im Band „Sport und Nationalsozialismus“, herausgegeben von Prof. Dr. Frank Becker und Dr. Ralf Schäfer, eine Spezialstudie über den Betriebssport der NS-Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“ (KdF) publiziert. Bevor wir zu Einzelheiten kommen, was ist die leitende Fragestellung bzw. die zentrale These Ihrer Studie?
Dr. Timpe: In meinem Beitrag untersuche ich die nationalsozialistischen Ziele und Praktiken im Bereich des Betriebssports und betrachte zudem die Alltagserfahrungen von deutschen Arbeiterinnen und Arbeitern mit KdF-Sport. Die Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“ hatte ein eigenes Sportamt und führte Sportkurse direkt in Industriebetrieben durch; ab 1936/37 wurden dann die sogenannten KdF-„Betriebssportgemeinschaften“ gegründet. Meine Studie zeigt: KdF-Sport war vor allem Breitensport mit Unterhaltungscharakter. Sportliche Höchstleistungen wurden nicht erwartet oder trainiert, statt dessen ging es darum, möglichst viele Menschen zur Bewegung zu motivieren, und dies vor allem, indem man die fröhliche Atmosphäre der Sportkurse betonte. Im Hintergrund stand auf der einen Seite eine ökonomisch-gesundheitspolitische Motivation, und, damit verbunden, auf der anderen Seite ein ideologisches Ziel, und zwar die Stärkung der NS-imaginierten „Volksgemeinschaft“.
Zudem muss man KdF-(Betriebs-)Sport natürlich als Teil der nationalsozialistischen „Gleichschaltung“ verstehen. Besonders beim Betriebssport ging es darum, Angehörige der Arbeiterklasse für das NS-Regime zu gewinnen oder sie zumindest von offenem Widerstand abzuhalten und das sozialistische Milieu und die ältere linke Arbeitersportbewegung zu schwächen. Meine Studie zeigt aber auch, dass es manchmal, quasi gegenläufig, auch Versuche aus dem sozialistischen oder oppositionellen Milieu gab, die KdF-Angebote zu „unterwandern.“