Archäologische Landesmuseen bieten die Möglichkeit, in Ausstellungen über die Vorgeschichte des Menschen zu informieren. Sie sind damit nicht an historische und moderne politische Prägungen des Raumes gebunden. Weder gab es in der Ur- und Frühgeschichte Deutschland, noch Hamburg, das Saarland, Halle an der Saale oder Trier. Umso verblüffender mag es daher sein, dass archäologische Landesmuseen in Ausstellungen eine Kontinuitätslinie konstruieren, die von der Vorgeschichte bis in die Gegenwart eines spezifischen politisch-kulturellen Raumes reicht. Die archäologische Vorgeschichte wird so zur heutigen Identitätsressource. Die Kulturwissenschaftlerin Dr. Tabea Malter hat im Rahmen Ihrer von der Gerda Henkel Stiftung geförderten Dissertationsarbeit diese Identitätskonstruktionen entlang von vier archäologischen Landesmuseen erforscht. Wir haben ihr dazu unsere Fragen gestellt.
"Rolle der Archäologischen Landesmuseen für die kulturelle Identität"
L.I.S.A.: Frau Dr. Malter, Sie haben sich im Rahmen Ihres Dissertationsprojektes mit der öffentlichen Darstellung von ur- und frühgeschichtlichen sowie archäologischen Objekten auseinandergesetzt. Im Mittelpunkt Ihrer Untersuchung stehen archäologische Landesmuseen in Deutschland. Bevor wir zu einigen Schwerpunkten Ihrer Arbeit kommen – was hat Sie zu Ihrem Thema geführt? Welche Überlegungen gingen Ihrer Forschung voraus?
Dr. Malter: Meine Beschäftigung mit diesem Thema begann schon recht früh. Während meines Bachelorstudiums der Historisch orientierten Kulturwissenschaften an der Universität des Saarlandes habe ich freiberuflich für das Museum für Vor- und Frühgeschichte in Saarbrücken gearbeitet. Schon dort habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Darstellung der ur- und frühgeschichtlichen Vergangenheit auf das Selbstverständnis von Besuchern und Besucherinnen erheblichen Einfluss haben kann. In der Forschung ist das Thema jedoch ein Desiderat. Es gibt sehr wenig Literatur und Forschung zu archäologischen Museen – abgesehen natürlich von Sammlungs- und Ausstellungskatalogen und historischen Abrissen. Mit der gesellschaftlichen Wirkung archäologischer Museumsarbeit und mit den Erwartungen, die von öffentlicher Seite an diese Museen gestellt werden, wurde sich bisher kaum kritisch auseinandergesetzt.
Mein Interesse daran wurde durch ein Seminar zu Edward Saids „Orientalismus“ während meines Masterstudiums an der HU Berlin weiter geschärft. Said beschreibt mit dem Begriff Orientalismus mehrere eng miteinander verbundene Dinge: eine akademische Disziplin, eine Denkweise, die sich auf eine ontologische und epistemologische Unterscheidung zwischen „dem Orient“ und „dem Okzident“ stützt und einen institutionellen Rahmen für den kolonialistischen Umgang mit dem „Orient“. Auch die Archäologie war stark am Orientalismus beteiligt, man denke beispielsweise an die französischen und englischen Ausgrabungskampagnen in Ägypten und Heinrich Schliemanns Suche nach Troja in der heutigen Türkei. Die bekannten internationalen Debatten über Restitutionen von archäologischen Fundstücken und Denkmälern aus den großen Universalmuseen in Paris, Berlin und London in ihre Ursprungsländer belegen, wie wichtig archäologische Artefakte für nationale Identitäten bis heute sind.
Was mich jedoch mehr interessierte als die große internationale Bühne war die Bedeutung der Archäologie für die inländische kulturelle Identität. Meine Masterarbeit habe ich nach einem Auslandssemester an der University of Edinburgh über die Lewis Chessmen als Symbole nationaler Identität und popkulturelle Ikonen geschrieben. Dabei beschäftigte ich mich zunehmend mit den Risiken der Identitätsbildung, also mit einseitigen bis hin zu extremistischen Vereinnahmungen archäologischer Themen, vor allem von politisch rechter Seite. Die Berufung heutiger rechtsextremer Gruppierungen auf vermeintlich „germanische“, „keltische“ und „nordische“ Vorfahren stellt für die wissenschaftliche Community eine große Herausforderung dar. Aus all diesen Überlegungen und Erfahrungen meiner Studienzeit habe ich schließlich mein Promotionsthema entwickelt. Ich wollte einmal umfassend untersuchen, welche Rolle die Archäologischen Landesmuseen für die kulturelle Identität der Länder spielen, die sie repräsentieren. Mein Fokus lag dabei einerseits auf der Frage, ob und wie die föderale Kulturpolitik Einfluss auf die Museen nimmt oder nehmen kann. Andererseits beschäftigte mich die Frage, ob unterschiedliche Inszenierungsstrategien die Chancen und Risiken, die in der Pflege von kulturellem Gedächtnis, kulturellem Erbe und kultureller Identität stecken, befördern oder minimieren können. Daher habe ich für die Fallstudien meiner Dissertation vier Museen ausgewählt, die sehr unterschiedliche Inszenierungsstrategien vertreten.