Hinzu kommen leider in ‚unserem‘ Arbeitsgebiet permanent auslaufende Arbeitsverträge, eine tickende WissZeitVG-Uhr, ausstehende Antworten von DFG&Co. zu laufenden Projektanträgen, natürlich weitere Qualifikationsarbeiten, kurzfristige Deadlines für weitere Anträge bei BMBF, DFG, usw., die es zu oft in Nachtschichten fertigzustellen gilt.
Und so unterschiedlich unsere tagtäglichen Situationen auch sind, haben wir eines grundlegend gemeinsam: Die Zeit, der es eigentlich bedarf als Grundlage unserer Arbeit – die Zeit zum Denken! Damit knüpfe ich mit meinen Gedanken wohl auch irgendwie an die aktuelle Debatte zur Sonderregelung in der deutschen Wissenschaft – again!? – nur dieses Mal eher zur Arbeitszeiterfassung an (sehr lesenswert dazu Kristin Eichhorns Text „Dusche oder Arbeit?“). Damit wird aus meiner Sicht der Eindruck verstärkt, dass wissenschaftliche Tätigkeiten in jeglicher Hinsicht etwas Besonderes sind, wofür die allgemeinen Gesetze nicht gelten. Aber gut, die wichtigen Diskurse um WissZeitVG und Wissenschaftsfreiheit führen hier zu weit und in eine andere Richtung; zurück zum eigentlichen Gedanken:
Die Grundvoraussetzung für Wissenschaft bzw. die Einsicht in deren Notwendigkeit scheint beinahe völlig abhandengekommen zu sein: Denken steht ganz am Anfang des Kreativprozesses, und damit unserer Arbeit. Das Hamsterrad der aktuellen wissenschaftlichen Praxis lässt dies aber kaum zu, macht dies beinahe unmöglich. So scheue ich mich nicht davor, Auszeiten einzufordern – ich meine damit nicht eine Auszeit vom Arbeiten und zur Freizeit (diese ist natürlich auch extrem wichtig, steht hier aber gerade nicht zur Debatte)! Sondern von einer Auszeit vom sich ewig drehenden Hamsterrad der alltäglichen Arbeit, aus dem es so schwer ist herauszukommen. Und wenn dann doch einmal geschafft, liegt man sinnbildlich eher ausgelaugt und außer Puste daneben, um die Auszeit ‚produktiv‘ nutzen zu können. Denn womit verbringen wir denn unsere Arbeitszeit? Hier kann jede:r Leser:in selbst ergänzen…
Mit Schnappatmung lässt sich nicht gut recherchieren, schreiben, diskutieren, lehren und schon gar nicht denken. Wo bleibt da der Raum für neue Einfälle, kritisches Über- und Weiterdenken für die eigenen Forschungs- und Lehrinhalte, aber eben auch für das fachkulturelle Miteinander? Erfolgsdruck und der Mangel an Pausen begünstigen keine Ideen. Vor allem wenn die spärlich eingeräumten Denkzeiten für ‚gute Ideen‘ genutzt werden sollen, und damit als Generation von Output für den nächsten Projektantrag, das Evaluationsmonitoring und den aufgebrezelten Lebenslauf verstanden wird. Diese Art der Denkfabrik Wissenschaft kostet Energie und Nerven, gerade mit Blick auf den Erfolgsdruck wirklich ‚gute Ideen‘ zu produzieren, die es auch über durch die Antragsmaschinerie der Drittmittelfördergeber schafft. Laut DFG belief sich die Förderquote für Geistes- und Sozialwissenschaften zwischen 2019 und 2022 auf durchschnittlich 31%!
Auszeiten vom Hamsterrad bedeuten aber auch nur begrenzte Freiräume zum Denken. Es bedarf eines grundlegenden Absinkens des Stressniveaus. Es braucht eine stressfreie Arbeitszeit, die Möglichkeiten für Kreativität, neue Perspektiven erlaubt. Die eigentliche Schreibarbeit, für die wir ausgebildet wurden (Recherchen, Literaturstände wälzen, Diskussionen und Austausch, Archivbesuche, Projekte entwickeln), beginnt erst danach. So braucht es auch Raum für Ideen, die sich vielleicht nicht unmittelbar als passend zur aktuellen ‚Buzzword‘-Förderlogik herausstellen, sondern erst in the long run neue Projekte entstehen lässt.
Und nun stellt sich natürlich die Frage, wie meine Vision für eine bessere Geschichtswissenschaft und Fachkultur ausschaut, wo ich doch so grundlegende Normative zu Lebenseinstellung, der sogenannten Work-Life-Balance und epistemischen Hoffnung auf Wissenschaftsfreiheit angesprochen habe. Tja, ich weiß auch nicht die eine und ultimative Lösung. Wie schaut es denn aber aus, wenn sich die DFG-Kollegien mal dafür beim entsprechenden Geldgeber einsetzen (#DefundDFG)? Wie wäre es damit, Kreativität nicht mehr nur mit innovativer Risikoforschung gleich zu setzen und zu finanzieren? Wie wäre es denn, wenn feste Kriterien von Akademischen Senaten und Ombudsstellen an den Universitäten erarbeitet würden für gleiche Ansprüche auf Auszeiten zum Kreativ sein und damit Denk-Zeiten als Teil der ‚good scientific practice‘ anzuerkennen? Von der Fürsorgepflicht von Vorgesetzten in Leitungsfunktionen haben viele gehört, was sich aber dahinter verbirgt, weiß nur ein Bruchteil. Verpflichtende Workshops von Führungskräften zu genau solchen Themen werden – aus meiner Erfahrung zumindest – aus Zeitgründen (!) zusammengestaucht oder sogar gänzlich wiederholt verschoben…
Zeit ist nicht zuerst Geld – Zeit ist vor allem erst einmal Lebenszeit! Diese gibt uns kein Arbeitgeber oder Prestige-Drittmittelprojekt zurück. Ich bin dankbar für die Zeit, die sich meine Kolleg:innen genommen haben (auch wenn ich um deren Workload wusste), wenn es darum ging, persönliche Krisen abzufedern, aus wissenschaftlichen Tiefpunkten herauszukommen und auch die beruflichen Höhepunkte wertzuschätzen. Dennoch kann die alleinige Verantwortung und Entscheidung nicht auf jede:n Einzelne:n abgewälzt werden, indem auf die vermeintliche Weisheit verwiesen wird ‚sich eben Zeit für Wichtiges zu nehmen‘ und durch präventive Workshops zu Mental Health, Atemübung usw. etwas länger im Hamsterrad auszuhalten.
Entfristete Stellen, ausreichend lange finanzierte Qualifikationsstellen, faire und flexible Arbeitsbedingungen sowie gleiche Regularien für regelmäßige Auszeiten zum Denken und Kreativ sein bilden meiner Meinung nach strukturelle Ansatzpunkte. So können neue Impulse und daraus wieder Motivation entstehen für einen positiven Antrieb (auch für die weniger charmanten Aufgaben im Schreibtischalltag) im Wissenschaftsgetriebe!