Das Sprichwort "Alle Wege führen nach Rom" gehört wahrscheinlich zu den bekanntesten historisch anmutenden Sprichwörtern in der deutschen Sprache. Vermeintlich eindeutig verweist es auf die Antike, auf das Imperium Romanum und das römische Straßensystem. Doch der Schein trügt. Was trotzdem an dem Sprichwort dran ist, wo es tatsächlich herhommt und was uns an Römerstraßen so fasziniert, darüber haben wir mit dem Althistoriker Prof. Dr. Michael Rathmann gesprochen.
"So stand Rom im Mittelpunkt jeglicher Raumwahrnehmung"
L.I.S.A.: Bis heute greifen wir auf zahlreiche Sprichwörter und Redensarten zurück, die einen historischen Ursprung haben, so zum Beispiel das Sprichwort "Alle Wege führen nach Rom". Die meisten Menschen werden das Sprichwort mit der Antike und dem Römischen Reich verbinden, doch wo liegt sein konkreter Ursprung? Und stimmt die Behauptung überhaupt?
Prof. Rathmann: Das Sprichwort, wonach alle Wege nach Rom führen, hört mit Blick auf die Antike wohl zu den bekanntesten Missverständnissen. Es hat nämlich mit dem Altertum nichts zu tun. Der Spruch gehört vielmehr ins Mittelalter. Die Sentenz soll die Vorrangstellung des Bischofs von Rom, also des Papstes, betonen. Wenn man ein griffiges antikes Sprichwort aus dem Umfeld „Straßen“ möchte, so kann auf Martial (9,57) verwiesen werden: „Nichts ist so alt wie die Schlaglöcher der Via Flaminia.“ Dies konnte man im alten Rom immer dann in einem Gespräch anbringen, wenn ein Sachverhalt hinlänglich bekannt war. Eine ähnliche Bedeutung hat heutzutage die Aussage: „Das pfeifen doch die Spatzen von den Dächern“.
Natürlich ließe sich die besagte mittelalterliche Redewendung auch auf die Antike übertragen. Schließlich hatte die römische Zentrale seit den Tagen des Augustus das Straßennetz massiv ertüchtigt und ausgebaut. Rom war der vernetzte Mittelpunkt eines Weltreichs. Für alle Augen sichtbar standen an den Reichstraßen Meilensteine zur Orientierung und nannten gewöhnlich die Entfernung zur nächsten größeren Stadt. Bisweilen wurde sogar die Distanz bis Rom angegeben. So zählte beispielsweise ein uns noch bekannter Meilenstein aus der Nähe von Zaragossa (CIL XVII.1 250) 1289 Meilen bis Rom, das sind etwas über 1900 km. Als Gegenstück zu solchen Entfernungsangaben in den Provinzen fungierte auf dem Forum Romanum der von Augustus errichtete „Goldene Meilenstein“ (Cass. Dio 54,8,4), der die Distanzen zu allen großen Städten im Römischen Reich angab. So stand Rom, das die Bewohner ebenso schlicht wie selbstbewusst als „die Stadt“ (urbs) titulierten, im Mittelpunkt jeglicher Raumwahrnehmung.