L.I.S.A.: Sie nähern sich in Ihrem Buch der Person Kracauers vor allem über zwei Stränge: seinem Wirken als philosophischen Schriftsteller und seiner Beziehung zum sogenannten Philosophischen Quartett, bestehend aus Theodor Wiesengrund/Adorno, Walter Benjamin, Ernst Bloch und eben Siegfried Kracauer. Wie viel Wirklichkeit eines Lebens fängt man ein, wenn man sich bei einer Biographie auf zwei wesentliche Aspekte eines Menschen konzentriert? Ist das letztlich der Tribut an das verfügbare Quellenmaterial?
Dr. Später: Wenn man sich auf zwei Aspekte konzentriert, dann fängt man zwei Aspekte ein… ;) Im Ernst, es geht in einer Biographie nicht darum, ein Leben vollständig abzubilden. Was für ein Monsterbuch würde da entstehen! An eine Lebensgeschichte muss man programmatische Fragen stellen, wenn man mehr sehen will, als nur den Lebenslauf einer Privatperson. Drei Aspekte schienen mir im Falle Kracauers von größter Bedeutung. Erstens natürlich die Werkorientierung, denn er war ein philosophischer Schriftsteller, und ohne das Werk ist sein Leben gar nicht zu denken. Zweitens das kontextorientierte Erzählen dieser Biographie – denn Kracauer war ein Zeitzeuge par excellence. So wie Kracauer nur im Spiegel seiner Zeit zu verstehen ist, so kann man auch sagen: die Zeit und die Orte, an denen er sich bewegte, spiegeln sich in dieser Person. Als Historiker war ich nicht in der Versuchung, mich in einem hermeneutischen Zirkel zu bewegen, sondern mir ging es eher darum, zu kontextualisieren. So habe ich versucht, eine Art Parallelaktion zwischen Kracauers Lebenslauf und „der“ Geschichte, also zwischen etwas sehr Besonderem und etwas Allgemeinem, zu konstruieren, in dem zwischen den Parallelen ein Spannungsfeld entsteht. Deshalb heißt es im Untertitel: „eine soziale Biographie“. Zudem ist, drittens, damit die lebensweltliche Orientierung gemeint, von der ich am Anfang sprach: die materielle Reproduktion, die sozialen Beziehungen: Familie, Freunde, Gegner etc., die politische Haltung, die Profession des Schreibens.