Die im Dezember 2015, mit Unterstützung des Kuratoriums Kulturelles Frankfurt vorgelegte Dokumentation von Dr. Heinz Schomann ist nur deshalb nicht beispielgebend zu nennen, weil vom Autor bereits mehrere derart aufwendige Publikationen vorliegen. Auf rund 350 Seiten wird die Entwicklung eines Stadtviertels und der angrenzenden Quartiere in einer groß-formatigen Studie präsentiert. Beginnend mit einem Stich von Matthäus Merian, aus dem Jahr 1628, Fluchtlinienpläen (1886 - 1910), Lageplänen (1882 - 1888), Parzellierungsplänen (1878 - 1913) und anderen, erläutert Heinz Schomann die Stadtteilentwicklung von einem landwirtschaftlich und gartenbaulich genutzten vorstädtischen Gebiet zu einem vom gehobenen Bürgertum, zahlreichen Fabrikanten- und Industriellenfamilien sowie Künstlern bewohnten Quartier. Wobei der Neubau des Städelschen Kunstinstituts (1878) die aufstrebende Entwicklung sehr beförderte. Dem Leser werden die alten Flurbezeichnungen ebenso erklärt wie die Herkunft der wechselnden Wege- und Straßennamen. Die nicht nur auf Maler zurückgehenden Straßennamen lassen die umgangssprachliche Bezeichnung "Malerviertel" als nicht zutreffend erscheinen. Der Argumentation Schomanns, es deshalb besser "Künstlerviertel" zu nennen, kann ich uneingeschränkt zustimmen.
Das Frankfurter Malerviertel und der Aufstieg von Sachsenhausen
Eine Buchvorstellung von einem Leser und Bewohner des Malerviertels
Umfangreicher Gebäudekatalog
Das knapp 800 Gebäude umfassende, sowohl noble Villen, als auch Etagen- und Reihenhäuser sowie Siedlungsbauten beheimatende Viertel ist von Hochhäusern verschont geblieben. Lediglich an dessen westlicher Grenze sind drei hohe Bürogebäude entstanden, wovon das Älteste, das Verwaltungshochhaus der ehemaligen AEG, vor mehr als zehn Jahren einem Neubau der Allianz-Versicherung weichen musste.
Über mehr als 130 Seiten erstreckt sich der Katalog der Gebäude, die von der Achenbach- bis zur Tischbeinstraße und den Katalognummern 1 bis 772 reichen. Alle beschriebenen Gebäude sind zumindest durch eine Fotografie und ausgewählte Liegenschaften mit Zeichnungen der Grundrisse und Gebäudeansichten dokumentiert. Besonders beeindruckend sind die Gebäudeansichten aus einem Archiv der ehemaligen Makler Israel Schmidt Söhne. Hier werden teilweise Fassaden sichtbar, die im letzten Krieg zunächst ruiniert und später durch Neubauten ersetzt wurden. Zum ersten Mal konnte ich so das im Krieg völlig zerstörte Zwillingspendant (Holbeinstraße 27) mit der kompletten Fassade sehen. Da ich die ersten 25 Jahre meines Lebens im Haus Holbeinstraße 29 verbracht habe, war die Freude groß.
Aus dem Feuilleton der Frankfurter Zeitung vom November 1897
Es hat mich sehr gefreut, die ersten beiden Absätze eines langen Artikels mit der Überschrift "Frankfurter Strassennamen" im Buch gefunden zu haben. Aus Platzmangel haben meine beiden Mitstreiter und ich 2012 auf den Abdruck dieses Artikels, im Anhang unseres Buches über die Textorstraße, verzichtet. Jetzt kommt die Leserschaft doch noch in den Genuss dieses wunderbaren Artikels über eine angemessene und würdevolle Auswahl verdienstvoller Persönlichkeiten für die Benennung von Straßen und Plätzen, vom November 1897. Der einleitende Satz sei hier zitiert:
"Wenn Fürsten als Dank für geleistete Dienste Orden verleihen, so reicht diese Auszeichnung gewöhnlich nur bis zum Tode des damit Bedachten; wenn aber Städte die Namen verdienstvoller Mitbürger an die Straßenecken heften, so geht das weit über das Grab hinaus und gewährt ein Stück Unsterblichkeit."
Baugestaltung und Architekturdekor / Motive und Materialien
Den das Viertel auszeichnenden Fassadenelementen und Skulpturen "Kunst am Bau" widmet Herr Schomann unter der Überschrift "Baugestaltung und Architekturdekor / Motive und Materialien" rund 30 Seiten. Erst durch die in diesem Teil des Buchs präsentierten Figuren an dem Verwaltungsgebäude Schaumainkai 101 habe ich deren Bedeutung verstanden. Somit bin ich der lebende Beweis für Bewohner, die über Jahrzehnte in diesem Viertel leben, aber die Bedeutung von hunderten Male in Augenschein genommenen Fassadenelementen nicht verstanden haben.
Frankfurter Museumsufer
Am Schaumainkai befindet sich der südliche Teil der Frankfurter Museumsufers, weshalb Schomann selbstverständlich auf die baugeschichtliche Entwicklung der einzelnen Gebäude ausführlich eingeht. Das von ihm als Burg von Sachsenhausen bezeichnete und den Buchdeckel zierende Liebieghaus wird in einem Kapitel mit der Überschrift "Vom Sammlerschloss zum Kunstmuseum / das Liebieghaus und andere Bürgerburgen (1889 - 1905) auf 9 Seiten ausführlich beschrieben.
Exkurs
Nach den Kurzbiographien der in diesem Viertel tätig gewesenen Architekten und Bauunternehmer folgt ein Exkurs zu den Straßen und Gebäuden zwischen dem Maler- und dem Klinikviertel, dem Gebiet westlich der heutigen Stresemannallee. Es werden dort noch einmal mehr als 160 Gebäude vorgestellt und beschrieben.
Der Umfang dieses Buchs übersteigt die zuvor von Dr. Schomann vorgelegten Studien zum Frankfurter Bahnhofsviertel (1988) und zum Frankfurter Holzhausenviertel (2010) deutlich. Als Frankfurter Bürger wünscht man sich, dass es nicht bei dieser Trilogie bleiben möge. Der in diesem Buch präsentierte Vergleich von fünf Frankfurter Stadtvierteln, lässt mich allerdings vermuten, dass entsprechende Projekte zum Dichter- und dem Diplomatenviertel nicht geplant sind. Seine Arbeiten zur Frankfurter Stadtentwicklung sind nach vielen Jahren in modernen Antiquariaten gesuchte Sammlerstücke. In den Frankfurter Antiquariaten sind die zuletzt erschienenen Bücher des ehemaligen Leiters des Frankfurter Denkmalamts, Dr. Heinz Schomann, momentan nicht zu bekommen. Deshalb sage ich der Auflage von 1.500 Exemplaren nicht nur einen schnellen Ausverkauf voraus, spätestens in 2017 wird die Suche nach gebrauchten Exemplaren in den Antiquariaten beginnen.
Ausblicke
Die Verwechslung bei einer Bildunterschrift (Schaub- statt Schadowstraße) und das der Eigentümer der Villa in der Böcklinstraße 14, Dr. Kalischer (Stolperstein), hieß, entdeckt man wohl nur dank einer lebenslangen Ortskenntnis, denn die Wahrscheinlichkeit dürfte sehr gering sein, dass jemand mit dem 2,2 kg schweren Buch einen Stadtspaziergang unternimmt.
Nach der mir bekannten Akte des Statistischen Amts und Wahlamts der Stadt Frankfurt (ISG: Signatur 131) kann nicht behauptet werden: "Bereits vor dem offiziellen Kriegsende hatten am 1. Mai 1945 sämtliche Bewohner der Burnitzstraße innerhalb weniger Stunden ihre Häuser und Wohnungen zu verlassen - zurück in ihre leer geräumten Behausungen durften sie erst drei Jahre später". In der Akte ist nachzulesen, dass am 16. April 1945 das Haus Burnitzstraße 35 und am 17. April 1945 das Haus Burnitzstraße 31 beschlagnahmt und beide Häuser am 15. Januar 1946 wieder freigegeben wurden. Am 30. Januar 1946 wurden die Mietshäuser Burnitzstraße 1 und 3 beschlagnahmt. Wann diese von den Amerikanern wieder verlassen wurden ist der Akte nicht zu entnehmen. Zutreffend ist außerdem, dass die Bewohner der Gebäude Böcklinstraße 3 bis 13 am 1. Mai 1945 innerhalb weniger Stunden ihre Wohnungen verlassen mussten. Wann diese Wohnungen von den Amis verlassen wurden ist in der Akte nicht vermerkt. In einem Zeitzeugenbericht (Ilse Pohl) wird allerdings eine Beschlagnahmung für die Dauer von drei Jahren bestätigt. Die Straßen rund um den Thorwaldsenplatz
Mit einem Augenzwinkern möchte ich meiner Enttäuschung Ausdruck verleihen, dass im Literaturverzeichnis das Buch zur Entwicklung und Geschichte der Textorstraße fehlt. Das könnte ein Hinweis darauf sein, die damalige Auflage von 750 Exemplaren nicht hoch genug gewählt zu haben.
Für ehemalige und aktuelle Bewohner und Hauseigentümer des Malerviertels, sollte die Publikation mindestens so interessant sein wie für alle offiziellen und inoffiziellen Stadtteilhistoriker. Bei einer Einwohnerzahl von Sachsenhausen von aktuell rund 60.000 übersteigt das Käuferpotential die Auflage um ein Vielfaches.
Als ein an der Geschichte meines Stadtteils sehr interessierter Zeitgenosse danke ich sehr für diese tolle Neuerscheinung.