[1] Der folgende Beitrag ging aus einem Hauptseminar des Masterstudiengangs AISTHESIS. Historische Kunst- und Literaturdiskurse hervor, das dem Körpers als ästhetischem und epistemischem Objekt gewidmet war. Ulrich Pfisterer, Hans-Jörg Rheinberger und Michael F. Zimmermann haben während und nach der Veranstaltung wichtige Anregungen beigesteuert. Dominik Brabant, Rosali Wiesheu und Yin Yin Wu waren so freundlich, den Text einer kritischen Revision zu unterziehen. Joan Eroncel und Eşref Armağan haben geduldig alle angefallenen Rückfragen beantwortet und stellten zugleich das hier neu publizierte Bildmaterial zur Verfügung. Die Finanzierung der Abbildungen wurde großzügigerweise von L.I.S.A übernommen. Ich möchte an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen und allen Beteiligten sehr herzlich für die vielfältige Unterstützung meiner Arbeit danken!
[2] Die Datierung des Experiments war in der Forschung lange umstritten. Edgerton (S. 88) plädiert für 1425. Kemp (S. 9) spricht sich auf Basis eines zuerst von Tanturli publizierten Dokuments glaubwürdig für spätestens 1413 aus.
Vgl.: Edgerton, Samuel Y.: The heritage of Giotto’s geometry. Art and science on the eve of the scientific revolution, Ithaca (u.a.) 1991. Kemp, Martin: The science of art. Optical themes in western art from Brunelleschi to Seurat, New Haven (u.a.) 1990. Tanturli, Giuliano: Rapporti del Brunelleschi con gli ambienti letterari fiorentini, in: Filippo Brunelleschi: La sua opere e il suo tempo, 2 Bde., Florenz 1980, Bd. 1, S. 125-144.
[3] Bekanntlich sind die beiden Tafeln von San Giovanni und dem Palazzo Vecchio nicht überliefert. Die wichtigste Schilderung der Versuchsanordnung entstammt der Vita di Filippo Brunellesci des Antonio di Tuccio Manetti von 1480 (S. 42ff.).
Vgl. Saalman, Howard (Hg.): The life of Brunelleschi by Antonio die Tuccio Manetti, englische Übersetzung des italienischen Texts durch Catherine Enggass, University Park (u.a.) 1970.
[4] Zuletzt hat Friedrich Teja Bach zu den beiden Perspektivexperimenten Brunelleschis gearbeitet.
Vgl.: Teja Bach, Friedrich: Filippo Brunelleschi und der dicke Holzschnitzer: Perspektive als anthropologisches Experiment und das Paradigma des Bildes als Einlegearbeit, in: Öffnungen, hg. v. Friedrich Teja Bach u. Wolfram Pichler, München (u.a.) 2009, S. 63-91.
[5] Wie Amedi et al. (S. 469) berichteten, wurde Armağan die völlige Blindheit erstmals im Alter von fünf Jahren durch türkische Augenärzte attestiert. Neuroophthalmologische Untersuchungen an der Harvard Medical School bestätigten diese Diagnose und führten die Schädigungen der Augen auf eine Infektion im Mutterleib zurück. Den Ärzten zufolge ist es sehr unwahrscheinlich, dass Armağan je etwas gesehen hat.
Vgl.: Amedi, Amir, Merabet, Lotfi B. u. Pascual-Leone, Alvaro: Pictorial Art Beyond Sight: Revealing the Mind of a Blind Painter, in: Art and the Senses, hg. v. Francesca Bacci u. David Melcher, Oxford 2011, S. 465-479.
[6] Für den Hinweis auf Puccini dankt ein musikhistorischer Laie herzlich seiner lieben Freundin Judith Kemp.
[7] Focillon, Henri: Eloge de la main (1934), in: Vie des formes, 5. Aufl., Paris 1964, S. 103-128, Zit. S. 112.
[8] „Fu molto ubidiente achi gli mostraua et molto docile e timoroso di uergognia (e questo gli giouaua piu che le minaccie o altro) e disideroso d’ onore, doue se ne poteua punto apicchare. Dilettossi naturalmente del disegnio e pittura, molto piccolino, e molto n’ era uago“ (S. 39).
Vgl.: Saalman, Howard (Hg.): The life of Brunelleschi by Antonio die Tuccio Manetti, University Park (u.a.) 1970.
[9] Vgl.: Amedi/Merabet/Pascual-Leone 2011 (wie Anm. 5), S. 469.
[10] Dass sich die Renaissanceliteratur in diesem Punkt nur bedingt an antiken Vorleistungen orientieren konnte, betont Ulrich Pfisterer (S. 264 ff.). Eine umfassende Theorie zur Frühreife des Genies habe weder bei den Griechen noch bei den Römern existiert.
Vgl.: Pfisterer, Ulrich: Erste Werke und Autopoiesis. Der Topos künstlerischer Frühbegabung im 16. Jahrhundert, in: Visuelle Topoi. Erfindung und tradiertes Wissen in den Künsten der italienischen Renaissance, hg. v. Ulrich Pfisterer u. Max Seidel, München (u.a.) 2003, S. 263-303. Zur Vita Giottos u.a.: Kris, Ernst u. Kurz, Otto: Die Legende vom Künstler. Ein geschichtlicher Versuch (1936), Frankfurt a. M. 1980, v.a Kap. II. Jenni, Ulrike: Der Beginn des Naturstudiums. Eine Legende vom zeichnenden Hirtenknaben, in: Von der Macht der Bilder, hg. v. Ernst Ullmann, Leipzig 1983, S. 129-135. Schwarz, Michael V. u. Theis, Pia: Giottus Pictor, 2. Bde., Wien (u.a.) 2004, Bd. 1, S. 14 ff..
[11] Schlosser, Julius: Denkwürdigkeiten des florentinischen Bildhauers Lorenzo Ghiberti, Berlin 1920, S. 51.
[12] Pfisterer 2003 (wie Anm. 10) legt obendrein dar, dass die literarischen Topoi in Form von Selbststilisierungen auch in den Bildwerken der frühen Neuzeit aufgerufen wurden.
Ferner: Pfisterer, Ulrich: Visuelle Topoi um 1600. Annibale Carracci zwischen voraussetzungsloser Innovation und Tradition, in: Muster im Wandel. Zur Dynamik topischer Wissensordnungen in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hg. v. Wolfgang Dickhut (u.a.), Göttingen 2008, S. 165-190.
[13] Das Zitat findet sich identisch bei Amedi 2008 (S. 258) und Amedi/Merabet/Pascual-Leone 2011 (S. 469). Kennedy und Juricevic (S. 507) liefern in all ihren Arbeiten zu Armağan mehr oder weniger elaborierte Varianten.
Vgl.: Amedi, Amir, Merabet, Lotfi B (u.a.): Neural and behavioral correlates of drawing in an early blind painter. A case study, in: Brain research, Bd. 1242 (2008), S. 252-262. Amedi/Merabet/Pascual-Leone 2011 (wie Anm. 5). Kennedy, John M. u. Juricevic, Igor: Blind man draws using diminution in three dimensions, in: Psychonomic Bulletin & Review, Bd. 13,3 (2006), S. 506-509.
[14] Diese entstammen allesamt dem ausgezeichneten Dokumentarfilm Savaş Ceviz’. Sie liegen dort in deutscher Übersetzung ebenso vor, wie auch in türkischer Sprache.
Vgl.: Ceviz, Savaş: (Buch, Regie, Produktion): Der mit den Fingern sieht. Der einzigartige blinde Maler, MusOna Filmverleih, Deutschland 2010.
[15] „Eine ernsthafte Schulbildung habe ich nicht genossen […] ich habe auch keine sonstige Ausbildung und eine Mal- oder Zeichenausbildung schon gar nicht“ (00:08:41 ff.).
Vgl.: Ceviz 2010 (wie Anm. 14).
[16] Ceviz 2010 (wie Anm. 14), 01:02:50 ff..
[17] Alison Motluk (S. 38) datiert das erste Treffen Kennedys mit Armağan auf Mai 2004. Tatsächlich hatten diese jedoch schon 2000 zusammengearbeitet. Amedi et al. (S. 469) geben für die neurologischen Untersuchungen 2006 an.
Vgl.: Kennedy, John M. u. Merkas, C. E.: Depictions of motion devised by a blind person, in: Psychonomic Bulletin & Review, Bd. 7,4 (2000), S. 700-706. Motluk, Alison: Seeing without sight, in: New Scientist, Bd. 185,2484 (2005), S. 37-39. Amedi/Merabet/Pascual-Leone 2011 (wie Anm. 5).
[18] „In meinem Kindsein hat mir das [fehlende Augenlicht] nichts ausgemacht. Ich hatte keine schlechte Laune oder so. Ich habe nur begriffen, dass andere Leute sehen können und ich nicht.“ (00:07:15 ff.).
Vgl.: Ceviz 2010 (wie Anm. 14).
[19] Plessner (S. 202) schließt hier an Merleau-Ponty (S. 190) an, der den Korrelationszustand beim Kontakt von Lebewesen zu Lebewesen als „sentant-sensible“ bezeichnet.
Vgl.: Plessner, Helmuth: Anthropologie der Sinne, Frankfurt a.M. 1970. Merleau-Ponty, Maurice: L’ oeil et l’esprit, in: Art de France, Bd. 1 (1961), S. 187-208.
[20] Vgl.: Motluk 2005 (wie Anm. 17), S. 38.
[21] Die systematische Vereinzelung der Sinne durch die Psychophysiologie des 19. und 20. Jahrhunderts hat Charles C. Gross am Beispiel des visuellen Kortex’ hervorragend historisiert. Roy Hamilton, Alvaro Pascual-Leone und Charles Spence belegen mit ihren Forschungen nun nachdrücklich die Notwendigkeit eines multisensualen Verständnisses der Wahrnehmung.
Vgl.: Gross, Charles G.: Brain, Vision, Memory. Tales in the History of Neuroscience, Cambridge 1998. Hamilton, Roy (u.a.): Alexia for Braille following bilateral occipital stroke in an early blind woman, in: NeuroReport, Bd. 11 (2000), S. 237-240. Pascual-Leone, Alvaro u. Hamilton, Roy: The metamodal organization of the brain, in: Vision. From neurons to cognition, Amsterdam (u.a.) 2001, S. 427-447. Spence, Charles: The multisensory perception of touch, in: Art and the Senses, hg. v. Francesca Bacci u. David Melcher, Oxford 2011, S. 85-106. Sie alle enthalten zahlreiche weiterführende Literaturangaben.
[22] Die diesbezügliche Theoriebildung wurde maßgeblich durch die Arbeiten Robert Jacobs’ befördert.
Vgl.: Jacobs, R. u. Kosslyn, Stephen M.: Encoding shape and spatial relations. The role of receptive field size in coordinating complementary representations, in: Cognitive Science, Bd. 18 (1994), S. 361-386. Jacobs R.: Computational studies of the developement of functionally specialized neural modules, in: Trends cognitive sciences, Bd. 3 (1999), S. 31-38.
[23] Neben den üblichen fünf sensorischen Fähigkeiten werden in der Physiologie nicht selten auch der Temperatur-, Schmerz- und Gleichgewichtssinn einbezogen. New Scientist hat im Januar 2005 eine lesenswerte Ausgabe zur Multisensualität des Menschen ediert.
Vgl.: New Scientist. Ausg. 29. Januar 2005 (Why you have (at least) 21 senses).
[24] Amedi 2008 (wie Anm. 13) sowie Amedi/Merabet/Pascual-Leone 2011 (wie Anm. 5) resümieren den Versuchsaufbau und die Resultate. Pascual-Leone geht zudem im Rahmen einer online abrufbaren Vorlesung auf die Experimente ein.
Vgl.: Pascual-Leone, Alvaro: Learning about Seeing from the Blind, Paul Bach-y-Rita Memorial Lecture (3. April 2009), http://videos.med.wisc.edu/videos/8646 [05.03.2013].
[25] Natürlich war immer auch Aktivität im somatosensorischen Kortex zu verzeichnen, da der Künstler beim Tasten und Zeichnen seine Hände bewegte.
[26] Pascual-Leone 2009 (wie Anm. 24), 00:14:20 ff..
[27] Vgl. dazu Pascual-Leone 2009 (wie Anm. 24) und v.a. Pascual-Leone 2001 (wie Anm. 21, S. 437 ff.) mit Hinweisen auf diesbezüglich aussagekräftige Versuche, die der Neurologe am Beth Israel Deaconess Medical Center in Bosten durchführte.
[28] In der Tat stellen die hochinteressanten Arbeiten Pascual-Leones das konventionelle Konzept ‚Sehen’ fundamental in Frage. Denn Armağans „mental eye” aktiviert beim Tasten und Zeichnen nicht nur die gleichen Hirnteile wie die „body-eyes“ visuell begabter Menschen. Zugleich werden bei Ihm alle ‚crossmodalen’ Einflüsse anderer Sinnesapparate konsequent unterdrückt. Parallele Untersuchungen an Versuchspersonen, die sich mit verschlossenen Augen Dinge vorzustellen hatten, ergaben die gleichen Resultate: „When you are seeing with your minds eye,” so Pascual-Leone, „you are not feeling with your minds fingers, you are not hearing with your minds ears; you are solely seeing with your minds eye“ (17:30 ff.). Betrachten Sehende hingegen die Welt, findet keine gezielte Suppression der avisuellen Areale des Gehirns statt. Vom neurologischen Standpunkt aus ist ‚Sehen’ bei visuell kompetenten Menschen vielmehr ein synaisthetisches Produkt, das erst bei zeitweiligem oder komplettem Verlust des Augenlichts in Reinform auftritt: „When you are not actually looking at things, when you are just simply imagining the visual image of it, you are ‚purely seeing‘ from your brains prospective point of view […] So perhaps the blinds are the ones that really see“ (18:32 ff.).
Vgl.: Pascual-Leone 2009 (wie Anm. 24).
[29] Amedi/Merabet/Pascual-Leone 2011 (wie Anm. 5, S. 468).
Zugleich klingen hier die Topoi der Ursprünglichkeit und Unmittelbarkeit an, die seit Hans Prinzhorns Bildnerei der Geisteskranken und Jean Dubuffets Theoretisierung der art brut in der Forschung immer wieder mit dem Phänomen der Outsider Art (Cardinal) in Verbindung gebracht wurden. Heute umfasst diese Kategorie Arbeiten, die unter Einfluss psychopathologischer Begleitumstände entstanden, doch subsumierte man dort bis in die Siebzigerjahre ebenso Werke perzeptorisch devianter Künstler, wie z.B. die Skulpturen des blinden Bildhauers Èmile Ratier (Cardinal, S. 114 ff..). Martina Weinhart hat jüngst den diesbezüglichen Diskurs historisiert.
Vgl.: Musgrave, Victor u. Cardinal, Roger (Hg.): Outsiders. An Art without precedent or tradition (Kat. Ausst.), London 1979. Weinhart, Martina: „Ich bin auf dem Mond wie andere auf dem Balkon sind“. Die Kunst der Outsider als Demarkationslinie der Moderne, in: Weltenwandler. Die Kunst der Outsider (Kat. Ausst.), Ostfildern 2010, S. 15-23.
Zu Prinzhorn zuletzt: Kaufmann, Doris: Kunst, Psychiatrie und "schizophrenes Weltgefühl" in der Weimarer Republik. Hans Prinzhorns "Bildnerei der Geisteskranken", in: Kunst und Krankheit, hg. v. Matthias Bormuth (u.a.), S. 57-72. Zu Dubuffet instruktiv: Emmerling, Leonhart: Die Kunsttheorie Jean Dubuffets, Heidelberg 1999, v.a. S. 82 ff..
[30] Pascual-Leone (00:13:20 ff.) formuliert die These ähnlich: „Well, presumably what is going on is that at very least he is able to convey a representation of objects, a representation of reality inside of him, in such a way that he can translate it into an image that anyone of us, looking at it, unequivocally knows what it is. So, either he has an uncanny ability to translate some other internal representation into something understandable by vision or the characteristics of the internal representation are fundamentally the same as in any of us. Since he has never seen, how would he have acquired the skill to translate into some representation that you and I can understand. I think it's more likely that the internal characteristics of the representation are the same.”
Vgl.: Pascual-Leone 2009 (wie Anm. 24).
[31] Heßler, Martina: Einleitung. Annäherung an Wissenschaftsbilder, in: Konstruierte Sichtbarkeiten. Wissenschafts- und Technikbilder seit der Frühen Neuzeit, hg. v. Martina Heßler, München 2006, S. 11-41, Zit. S. 29.
[32] Seit dem pictorial bzw. iconic turn ist in der Kunstgeschichte das Interesse an den Spezifika des technischen Bildes deutlich gewachsen. Zu den wichtigsten neueren Publikationen gehören die von Heintz/Huber, Heßler sowie Bredekamp (u.a.) edierten und mit zahlreichen weiterführenden Literaturhinweisen versehenen Sammelbände.
Vgl.: Heintz, Bettina u. Huber, Jörg (Hg.): Mit dem Auge denken. Strategien der Sichtbarmachung in wissenschaftlichen und virtuellen Welten, Zürich (u.a.) 2001. Heßler, Martina (Hg.): Konstruierte Sichtbarkeiten. Wissenschafts- und Technikbilder seit der Frühen Neuzeit, München 2006. Bredekamp, Horst (Hg. u.a.): Das technische Bild. Kompendium zu einer Stilgeschichte wissenschaftlicher Bilder, Berlin 2008.
[33] Vgl.: Heßler 2006 (wie Anm. 31), S. 35.
[34] Vgl.: Flusser, Vilém: Für eine Philosophie der Fotografie, Göttingen 1983, bes. S. 9-18.
[35] Amedi/Merabet/Pascual-Leone 2011 (wie Anm. 5), S. 475.
[36] Hermann von Helmholtz legte die Theorie der unbewussten Schlüsse im Kontext seiner Zeichentheorie der Wahrnehmung mehrfach dar. Besonders deutlich wird sie im Handbuch (S. 447-457) sowie in seiner Rede zu den Thatsachen in der Wahrnehmung.
Vgl.: Helmholtz, Hermann von: Handbuch der physiologischen Optik, Leipzig 1867. Helmholtz, Hermann von: Ueber die Thatsachen in der Wahrnehmung. Rede, gehalten zur Stiftungsfeier der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin am 3. August 1878, in: Herman von Helmholtz. Schriften zur Erkenntnistheorie, hg. v. Enke Bonk, Wien 1998, S. 147-177.
[37] Ceviz 2010 (wie Anm. 14), 01:21:30 ff..
[38] „A Man, being born blind, and having a Globe and a Cube, nigh of the same bignes, Committed into his Hands, and being taught or Told, which is Called the Globe, and which the Cube, so as easily to distinguish them by his Touch or Feeling; Then both being taken from Him, and Laid on a Table, Let us Suppose his Sight Restored to Him; Whether he Could, by his Sight, and before he touch them, know which is the Globe and which the Cube? Or Whether he Could know by his Sight, before he stretch'd out his Hand, whether he Could not Reach them, tho they were Removed 20 or 1000 feet from Him?“ (Bd. 3, Nr. 1064).
Vgl.: Molyneux, William: Letter to John Locke, 7 July 1688, in: The Correspondence of John Locke (8 Bde.), hg. v. Esmond S. de Beer, Oxford 1978.
[39] Vgl.: Degenaar, Marjolein: Molyneux's Problem. Three Centuries of Discussion on the Perception of Forms, Dordrecht (u. a.) 1996.
[40] Georgina Kleege weist auf einige dieser blind men im wahrnehmungstheoretischen Diskurs hin und betont zugleich deren meist undankbaren Status, fungieren sie doch oft als bemitleidenswerte Kronzeugen für die unschätzbar kostbare Gabe des Sehsinns.
Vgl.: Kleege, Georgina: Blindness and Visual Culture. An Eyewitness Account, in: Journal of Visual Culture, Bd. 4 (2005), S. 179-190.
[41] Gitter, Elisabeth: The Imprisoned Guest. Samuel Howe and Laura Bridgman, the Original Deaf-Blind Girl, New York 2001, S. 58.
[42] Im Folgenden wird Kennedy/Juricevic 2006 besprochen. Kennedy und Kollegen publizierten jedoch auch andere Zeichenversuche mit Armağan.
Vgl.: Kennedy, John M. u. Juricevic, Igor: Blind man draws using diminution in three dimensions, in: Psychonomic Bulletin & Review, Bd. 13,3 (2006), S. 506-509. Zudem: Kennedy/Merkas 2000 (wie Anm. 17). Kennedy, John M. u. Juricevic, Igor; Foreshortening, Convergence And Drawings From A Blind Adult, in: Perception, Bd. 35 (2006), S. 847-851. Kennedy, John M. u. Juricevic, Igor: Esref Armagan and perspective in tactile pictures (2007), http;//www.utsc.utoronto.ca/~kennedy/ [05.03.2013].
[43] Beim Zeichnen hält Armağan den Stift in der rechten Hand, während die Zeige- und Mittelfinger der linken sich frei um die Stiftspitze herum bewegen und Richtung sowie Endpunkt des nächstfolgenden Striches determinierten. Linien werden gezogen, indem die rechte Hand mit dem Bleistift schwungvoll die Finger der linken ansteuert. Gelegentlich schieben diese die Stiftspitze auch vor sich her. Einen Gesamteindruck des Geleisteten erhält der Künstler, indem er die Spitzen beider Zeigefinger großflächig über das Blatt führt (00:00:10 ff. u. 00:55:20 ff.).
Vgl.: Ceviz 2010 (wie Anm. 14).
[44] Kennedy/Juricevic 2006 (wie Anm. 42), S. 507 (Hervorhebung TT).
[45] Vgl.: Kennedy/Juricevic 2007 (wie Anm. 42), S. 11.
[46] Dominic Lopes erkennt die Thesen Kennedys an. Blinde seien sowohl in der Lage perspektivisch wahrzunehmen als auch zu zeichnen (S. 431). Perspektive sei kein Unterscheidungskriterium von Seh- und Tastsinn (S. 436). Dabei beruft Lopes sich nicht auf den Fall Armağan (dieser war den Psychologen noch unbekannt), sondern auf frühere Arbeiten Kennedys.
Vgl.: Lopes, Dominic M. M.: Art Media and the Sense Modalities. Tactile Pictures, in: The Philosophical Quarterly, Bd. 47,189 (1997), S. 425-440.
[47] Vgl.: Panofsky, Erwin: Die Perspektive als symbolische Form (1927), in: Erwin Panofsky. Aufsätze zu Grundfragen der Kunstwissenschaft, hg. v. Hariolf Oberer u. Egon Verheyen, Berlin 1998, S. 99-169.
[48] Kennedy/Juricevic 2007 (wie Anm. 42), S. 3.
[49] „Immer wenn ich etwas Neues anfasse merke ich mir: Welchen Namen hat es, was hat es für eine Form, welche Farbe und Farbtöne könnte es haben. Diese Dinge habe ich mir eingeprägt.“ (00:10:50 ff.).
Hier scheint auch der Grund für die grelle, kontrastreiche Palette des Künstlers zu liegen. Über Farbe zu sprechen ist schon unter Sehenden problematisch und oft nur mit Hilfe von Vergleichen möglich. Es dürfte Armağans Mitmenschen daher schwer gefallen sein, ihm ein differenziertes Wissen von den Farben der Dinge zu vermitteln.
Vgl.: Ceviz 2010 (wie Anm. 14).
[50] „Mischt man gelb und blau ergibt es grün, das habe ich gelernt. Aber wie viel von jeder Farbe muss man nehmen, damit sie welchen Ton hat? Auch das musste ich lernen.“ (00:20:35 ff.).
Vgl.: Ceviz 2010 (wie Anm. 14).
[51] Diese ist v.a. gegeben, da Armağan alle Farben in einer festgelegten Reihenfolge aufbewahrt und sie ggf. zielsicher aus den Regalen seines Ateliers an seinen Arbeitsplatz befördern kann (01:00:20 ff.).
Vgl.: Ceviz 2010 (wie Anm. 14).
[52] Vgl.: Ceviz 2010 (wie Anm. 14), 00:56:10 ff..
[53] Kennedy/Juricevic 2006 (wie Anm. 42), S. 507.
[54] Kennedy/Juricevic 2007 (wie Anm. 42), S. 11. Dazu grundsätzlich, jedoch nicht überzeugender: Kennedy, John M.: Drawing & the blind. Pictures to touch, New Haven (u.a.) 1993, Kap. 6.
[55] John Hull (u.a. S. 98 ff.) macht über seine Kommentare zur unterschiedlichen aisthetischen Struktur des akustischen, taktilen und visuellen Wahrnehmungsraumes die Notwendigkeit einer derartigen Differenzierung sehr deutlich. Der mittlerweile emeritierte Theologe erblindete im Alter von 48 Jahren fortschreitend und dokumentierte seine Erfahrungen im Rahmen einer lesenswerten Autobiographie.
Vgl.: Hull, John M.: Im Dunkeln sehen. Erfahrungen eines Blinden (1990), aus dem Englischen von Silvia Morawetz, München 1995.
[56] Hopkins stellt in Anbetracht der perspektivischen Zeichnungen Armağans ebenfalls fest, dass der Konvergenzeffekt nicht ertastet werden kann. Er führt daher die perspektivischen Ansätze in den Bildern auf „Tactile Beliefs“ zurück (S. 156 ff.), d.h. auf Interpretationen der taktilen Sinneswahrnehmungen durch den Künstler. Damit schließt er unbewusst an die Argumentation diverser Psychologen des frühen 20. Jahrhunderts an, die die häufig im Kontrast zu Arbeiten sehender Künstler in puncto Genauigkeit abfallenden Leistungen Blinder durch deren phantasievolle Ergänzung ihrer unzulänglichen Wahrnehmungen von der Welt erklären. So beobachtete schon Burde das mangelhafte Vermögen blinder Kinder, Proportionen und Symmetrie plastisch wiederzugeben und führte es auf die Einflussnahme sog. „Surrogatvorstellungen“ (S. 107 u. 117 f.) zurück.
Vgl.: Hopkins, Robert: Touching pictures, in: British Journal of Aesthetics, Bd. 40 (2002), S. 149-167. Burde: Die Plastik des Blinden, in: Zeitschrift für angewandte Psychologie und psychologische Sammelforschung, Bd. 4 (1911), S. 106-128.
[57] „EA said that the tasks with the glasses, table and chairs, house from different vantage points and three cubes were novel“ (S. 508).
Vgl.: Kennedy/Juricevic 2006 (wie Anm. 42).
[58] „In addition, the set of cubes is flanked top and bottom by lines converging to the left, suggesting the support surface receding to the left. These were drawn last“ (S. 508).
Vgl.: Kennedy/Juricevic 2006 (wie Anm. 42).
[59] Lopes spricht Bildern vor dem Hintergrund der Forschungen Kennedys den rein visuellen Status ab (Vgl. Anm. 46) und antizipiert für die Zukunft eine „multi-sensory pictorial aesthetic that would embrace touch as well as vision“ (S. 440). Hopkins (S. 160 ff.) schließt an Lopes an, wertet jedoch die „tactile pictures“ gegenüber visuellen Repräsentationen als ästhetisch defizitär, da sie lediglich „Tactile Beliefs“ (Vgl. Anm. 56) zum Ausdruck bringen würden. Diese stünden in keinem direkten Verhältnis zur Wahrnehmung der Wirklichkeit, „therefore, tactile pictures cannot offer the aesthetic satisfaction which depend on that link“ (S. 161).
Vgl.: Lopes 1997 (wie Anm. 46). Hopkins 2002 (wie Anm. 56).
[60] Ernst Cassirer macht „den scharfen Schnitt zwischen der Ding-Zeit und der reinen Erlebnis-Zeit – zwischen der Zeit, die wir als Strombett für das objektive Geschehen denken, und der Bewußtseinszeit, die uns ihrem Wesen nach nicht anders denn als ‚Präsenzzeit’ gegeben sein kann“ (Bd. 3, S. 197).
Vgl.: Cassirer, Ernst: Philosophie der symbolischen Formen, 3 Bde., Darmstadt 1956-1958.
[61] Lorenz Dittmann (S. 94 f.) unterscheidet für Werke der bildenden Kunst drei Zeitstrukturen: Die „historische Zeit“, der Entstehungszeitpunkt eines Werks, die „Bildzeit“, die Andeutung von Bewegungen und Handlung im Bild, und „die für das adäquate Wahrnehmen und Verstehen eines Bildkunstwerks erforderliche Zeit“, die wir im Text prägnanter als aisthetische Zeit angesprochen haben. Thomas Kisser hat jüngst zu diesem Thema einen hervorragenden Sammelband ediert und in seinem eigenen Beitrag ebenfalls diverse „malerische Möglichkeiten, Zeit zu zeigen“ (S. 89) herausgestellt.
Vgl.: Dittmann, Lorenz: Über das Verhältnis von Zeitstruktur und Farbgestaltung in Werken der Malerei, in: Festschrift Wolfgang Braunfels, hg. v. Friedrich Piel u. Jörg Traeger, Tübingen 1977, S. 93-109. Kisser, Thomas: Visualität, Virtualität, Temporalität. Überlegungen zur Zeitlichkeit in Bildkonzepten von Tizian, Rembrandt, Watteau und Friedrich, in: Bild und Zeit, hg. v. Thomas Kisser, München (u.a.) 2011, S. 87-136.
[62] Kisser 2011 (wie Anm. 61), S. 135.
[63] Fiedler, Konrad: Über den Ursprung der künstlerischen Tätigkeit, in: Schriften zur Kunst, hg. v. Gottfried Boehm, 2 Bde., 2. Aufl., München 1991, Bd. 1, S. 192.
[64] Natürlich sind die taktilen Spuren im Bild schon seit geraumer Zeit Gegenstand kunsthistorischer Analysen. Riegl spricht besonders plastisch wirkenden Kunstwerken taktile bzw. haptische Qualitäten zu, die vom Betrachter „Nahsicht“ einfordern und sein Erlebnis von Dreidimensionalität befördern. Bernhard Berenson und andere Historiker in der Tradition der Einfühlungsästhetik empfanden gar ausgehend von der gemalten Bewegung eine körperliche nach und gewannen derartigen Bildern lebendigere Anschauungen und damit einen ästhetischen Mehrwert ab.
Zeitgleich versuchten Künstler der Moderne wie Paul Cézanne ihre taktilen Erfahrungen mit den Dingen im Duktus zu repräsentieren und durch „Farbmodulierung“ höhere „Wirklichkeitsgrade“ zu erzielen (Dittmann, S 106).
Der rein visuelle Status des Mediums ‚Bild’ blieb davon dennoch unberührt. Denn die nachträgliche Zuschreibung taktiler Qualitäten war das Resultat visueller Rezeption und ging zu keinem Zeitpunkt mit der Behauptung einher, es existiere neben dem visuellen auch noch ein sinnvoller taktiler Zugang zum Bild und auch die gezielte künstlerische Evokation spezifisch taktiler Bildwerte sollte diese letztlich immer nur augenfällig und eben nicht fühlbar machen.
Vgl.: Zu Berensons berühmten Konzept zuletzt: Kuusamo, Altti: The idea of art as a form behind tactile values. The recuperation of art in art history c. 100 years ago, in: Taidehistoriallisia tutkimuksia, Bd. 38 (2009), S. 119-127. Zu Riegl: Fend, Mechtild: Körpersehen. Über das Haptische bei Alois Riegl, in: Kunstmaschinen. Spielräume des Sehens zwischen Wissenschaft und Ästhetik, hg. v. Andreas Mayer und Alexandre Métraux, Frankfurt a.M., S. 166-202. Dittmann 1977 (wie Anm. 61).
[65] Zum Vermögen Blinder taktil zugängliche Bilder zu verstehen vgl. u.a.: Kennedy, John M. (u.a.): Can "Haptic Pictures" Help the Blind See?, in: Harvard Graduate School of Education Bulletin, Bd. 16 (1972), S. 22-23. Kennedy, John M. u. Fox, Nathan: Pictures to See and Pictures to Touch, in: The Arts and Cognition, hg. v. Barbara Leondar u. David Perkins, London 1977, S. 18-35. Lopes 1997 (wie Anm. 46).
Zur zeichnerischen Kompetenz Blinder vgl. u.a.: Millar, Susanna: Visual Experience or Translation Rules? Drawing the Human Figure by Blind and Sighted Children, in: Perception, Bd. 4 (1975), S. 363-71. Kennedy, John M: Blind People Recognizing and Making Haptic Pictures, in: The Perception of Pictures, hg. v. M. A. Hagen, New York I980, 2 Bde., Bd. 2, S. 263-304. Kennedy 1993 (wie Anm. 54).
[66] Boehm, Gottfried: Die Wiederkehr der Bilder, in: Was ist ein Bild?, hg. von Gottfried Boehm, München 1994, S. 11-38, Zit. S. 29 f..
[67] Für die technischen Bilder gilt das nicht (s.o.).
[68] Armağan malt ohne Vorzeichnungen, jedoch unter Zuhilfenahme von Schablonen, mit Wasser- Acryl- oder Ölfarben auf Leinwand. Er verwendet dabei vorzugsweise seine Finger und nutzt nur selten Pinsel. Der Farbauftrag erfolgt stets mit dem rechten Zeigefinger an der vom linken vorgegebenen Stelle. Während die linke Hand ansonsten eher passiv bleibt, etablieren die Finger der rechten den Bildhintergrund, indem sie großflächig Farbe verteilen. Die jeweiligen Bildgegenstände werden dann durch Farbtupfer allmählich figuriert.
Vgl.: Ceviz 2010 (wie Anm. 14).
[69] Das weiche, glatte Gefühl von Gefieder ist Armağan aus seiner kurzen Zeit als Vogelhändler im elterlichen Laden wohl bekannt (01:05:08 ff.).
Vgl.: Ceviz 2010 (wie Anm. 14).
[70] Vgl.: Ceviz 2010 (wie Anm. 14), 00:09:53.
[71] Zu Diderots lettre zuletzt Barasch (Kap. 5) sowie Spittler-Massolle (v.a. S. 344-377). Zu Burkes taktiler Theorie der Schönheit siehe Franzini (S. 119 f.).
Vgl.: Barasch, Moshe: Blindness. The History of a mental image in Western thought, New York 2001. Spittler-Massolle, Hans-Peter: Blindheit und blindenpädagogischer Blick. ‚Der Brief über die Blinden zum Gebrauch für die Sehenden’ von Denis Diderot und seine Bedeutung für den Begriff von Blindheit, Frankfurt a.M (u.a.) 2001. Franzini, Elio: Rendering the sensory world semantic, in: Art and the Senses, hg. v. Francesca Bacci u. David Melcher, Oxford 2011, S. 115-131.
[72] Spence diskutiert die eigenen sowie andere diesbezügliche Arbeiten und stellt zudem ein ausführliches Literaturverzeichnis zur Verfügung.
Vgl.: Spence 2011 (wie Anm. 21).
[73] „People deprived of one or more sense do not develop truly supernormal sensitivities of the remaining ones but rather learn to use them proficiently“ (S. 97).
Vgl.: Spence 2011 (wie Anm. 21).
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