L.I.S.A.: Welches sind die wichtigsten Ergebnisse der Tagung?
Dr. König: Zunächst einmal wurde die große Vielfalt und die Dynamik des bestehenden Angebotes an sozialen Medien und an wissenschaftlichen Projekten, die diese einsetzen, deutlich. Schön zu sehen war, wie die oftmals sperrigen Werkzeuge der sozialen Medien von den usern angeeignet und weiterentwickelt bzw. umdefiniert werden. Da ist viel Bewegung derzeit, und keiner weiß, wie sich in zwei, drei Jahren der tatsächliche Einsatz von beispielsweise google+, facebook und twitter in der Wissenschaft entwickeln wird.
Wir haben viel darüber diskutiert, wie soziale Medien den wissenschaftlichen Publikationsprozess „flüssiger“ machen können. Liquid publication war da das Stichwort: anstatt starre, feste, unveränderliche Veröffentlichungen, können Fragmente publiziert werden, diskutiert werden, wieder verändert und weiter entwickelt werden. Diese Präsentation von „Wissenshäppchen“ wird einerseits zwar kritisiert, andererseits erlaubt uns diese „Kultur des Fragments“, von der Klaus Graf sprach, früh in einen Dialog zu treten, Thesen zu testen und das in einem größeren Rahmen, als es traditionell beim Vortrag im Seminar oder vor Kollegen möglich ist.
Eine weitere Änderung für die Geisteswissenschaften bringt außerdem die „Kultur des Teilens“ mit sich, die durch die neuen sozialen Medien entsteht oder entstehen sollte, wie André Gunthert auf der Tagung forderte. Das gemeinsame Bearbeiten größerer Datenmengen oder Quellen beispielsweise in kollaborativen Projekten wäre hier zu nennen. Hinzu kommt die „Kultur der Anerkennung“ der Leistungen, die Wissenschaftler durch ihr Engagement in den sozialen Netzen bringen, um die es bisher noch schlecht bestellt ist. In diesem Zusammenhang wäre es auch wichtig, die Ausbildung der Studierenden im Umgang mit den sozialen Medien zu fördern und dies curricular in den Studienablauf einzubinden.
Wir haben außerdem festgestellt, dass sich Innovationsprozesse verschieben, weil die jungen „wilden“ Wissenschaftler oftmals Projekte an den Start bringen, für die sie von den eingesessenen Institutionen keine Unterstützung bekommen. Hier entsteht ein Spannungsverhältnis, von dem abzuwarten bleibt, wohin es tatsächlich führt. Das gilt im Übrigen auch für den Bereich unserer Sehgewohnheiten, die sich gerade in Richtung „Listen“ verschieben, weil das die häufigste Präsentationsform von Information in den sozialen Medien ist. In solchen Bereichen hat die Tagung mehr Fragen aufgeworfen, als Antworten gegeben, was allerdings bei einer Veranstaltung, die sich als Pulsmesser eines aktuellen, noch nicht ausgereiften Trends begreift, zu erwarten war.
Konsens war noch, dass mehr Forschung über unsere gegenwärtige Internetkultur und eine größere Reflektion über unser Tun im Netz notwendig sind. Interessant ist aus meiner Sicht auch, dass wir Datenschutzfragen und Probleme beim Schutz der Privatsphäre in den sozialen Netzen fast gar nicht diskutiert haben. Das scheint Wissenschaftler sehr viel weniger umzutreiben als Privatpersonen.
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