Eines wurde im Rahmen des Kunsthistorikertages deutlich: Dinge können vor allem im ontologischen und phänomenologischen Sinne viel sein - wie kann sich ihnen oder dem Begriff allein die Kunstgeschichte nähern? Welche Perspektiverweiterungen bieten sich dabei Kunsthistorikerinnen wie mir beispielsweise, die sich in erster Linie mit Gemälden und Grafik beschäftigen, deren Ding- bzw. Objektcharakter hinter einer ‚Idee‘ zurücktreten soll?
Zwei Sektionen scheinen den Weg zu den Dingen vor allem aus der Perspektive der Materialität in Angriff genommen zu haben. Margarete Vöhringer und Michael F. Zimmermann widmeten die Sektion „Objekt oder Werk? Für eine Wissensgeschichte der Kunst“ dem wissenschaftshistorischen, durch den „material turn“ geformten und diesen selbst formenden Blick auf das „epistemische Ding“ (Hans-Jörg Rheinberger).
Die Vorträge boten dabei ein breites Spektrum an Gattungen, Medien, Untersuchungsgegenständen und disziplinspezifischen Herangehensweisen: vertreten waren Ölmalerei in Japan (Vera Wolff), Philosophie/Wissenschaftsgeschichte (Gustav Roßler), mittelalterliche Goldschmiede- und Emailarbeit (Heike Schlie), Perlen-Objekte als Kunstkammerpretiosen (Verena Suchy) und Fotografien unter Einbeziehung restaurationswissenschaftlicher und materialbasierter Erkenntnisse (Carina Dauven/Kristina Engels). Alle Vorträge einte, dass sie sich dem Ding/Objekt/Werk zunächst auf der Ebene des Materials bzw. der Materialität näherten, so stellte z.B. Gustav Roßler Michel Foucaults Kommentar zu Edouard Manets Gemälden als „tableau-objet, le tableau comme matérialité, comme chose colorée“ an den Anfang.
Unterschiedlich intensiv, aussagekräftig und verbindlich geriet dabei die Klärung begrifflicher Ansatzpunkte und Definitionen, insbesondere der beiden im Sektionstitel so gegensätzlich und scheinbar unvereinbar positionierten Begriffe, die in Michael F. Zimmermanns Einführung ausdifferenzierter als Teil seiner Überlegungen zu einer Reihung von Begriffskategorien wie Ding, Objekt, Artefakt und Werk auftauchten.
Nicht nur der Blick auf das spezifische kunsthistorisch relevante Ding sondern auch auf das Phänomen „Ding“ musste in der Sektion ständig mitgedacht werden, was aufgrund der Kürze der Zeit einige weiterzuverfolgende Denkanstöße bereit hielt: Gustav Roßler fragte mit Rheinberger beispielsweise nach dem kunstwissenschaftlichen Experimentalsystem und dem daraus zu Tage tretenden „epistemischen Ding“. Wenn sich dieses möglicherweise für die Künstlerin in Form des Kunstwerks manifestiert, welche Form(en) nähme dies dann für die Kunsthistorikerin an, basierend auf welcher Art Experimentalsystem? Oder anders gesagt: nach was suchen wir eigentlich und auf welche Weise hoffen wir dies zu finden?
Ist zunächst aus ontologischer Sicht vom „Ding“ als materieller Entität die Rede, werden für die Kunsthistorikerin die ästhetisch-geformten oder auch mit ästhetischen Zuschreibungen versehenen Dinge zu Objekten, Artefakten und Werken und somit durch diese Anreicherung mit Wissen über Materialien, Techniken, Produktions- und Rezeptionsvorgänge als Untersuchungsgegenstände relevant. Bezüglich der konkreten Untersuchungsgegenstände der Kunstgeschichte bedeutet dies auch, dass restauratorische und materialtechnische Erkenntnisse (soweit überhaupt vorhanden) mit einbezogen werden müssten. Als ein Wissen, dass sich dem Objekt zum großen Teil im Werkprozess einschreibt und zunächst mit anderen Instrumentarien als denen der Geisteswissenschaft zutage gefördert werden muss, wäre es wünschenswert, hier auf eine engere Zusammenarbeit zurückgreifen zu können, die das Auge der Kunsthistorikerin zu erweitern vermag und unter der Oberfläche, durch das Material hindurch diesen materiellen Ursprung der Dinge ergründet.
Daran anknüpfend konnte man in der Sektion „Material Agencies“, geleitet von Horst Bredekamp und Wolfgang Schäffner die Wichtigkeit der Kategorie der Materialität der Objekte weiterdenken, die diese zu Wissensträgern und darüber hinaus zugleich zu „physischen und symbolischen Akteuren“ werden lässt, die sogar menschliche Identitätskonstrukte materialisieren. Die Frage, wieviel dieses Wissens tatsächlich in die Dinge/Objekte eingeschrieben ist, und wieviel auf der Seite des Betrachters stattfindet im Hinblick auf Überlegungen zu Rezeptionsästhetik, Agency- und Affordanz-Begriffen war dabei in der Diskussion von unterschiedlichsten Standpunkten geprägt.
Wenn sich das Ding, Objekt oder Werk vor allem durch die Formung von und das Einschreiben von Wissen in ein Material konstituiert, findet sich in dieser Sektion in der Thematisierung der ungeformten „Substanz“ und der philosophischen „Materie“ im Vortrag von Markus Rath bis hin zum ungreifbaren, immateriellen und sich auflösenden konkreten Ding und Dingbegriff in der Idee der „Hyperobjekte“ (Timothy Morton) im Vortrag von Inge Hinterwaldner zur Space Art/Sky Art eine bereichernde Erweiterung des bisher gehörten. Das Ding/Objekt beginnt hier, sich in seiner materiellen Definiertheit und Geformtheit zu entgrenzen, dynamisch-prozessual gedacht zu werden und in den „ununterbrochenen Materialfluss der Dinge“ (Tim Ingold: „continual flux of materials“) einzugehen.
Leseempfehlungen:
Hans-Jörg Rheinberger: Experimentalsysteme und epistemische Dinge. Eine Geschichte der Proteinsynthese im Reagenzglas, Frankfurt am Main 2006.
Michel Foucault: La peinture de Manet, hrsg. von Maryvonne Saison, Paris 2004.
Timothy Morton: Hyperobjects: philosophy and ecology after the end of the world, Minneapolis/London 2013.
Tim Ingold: „Materials against materiality“, in: Archaeological Dialogues, 14:2007, 1, S.1–16.
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