Die deutsche Geschichtswissenschaft allgemein und speziell die Erforschung der frühen Neuzeit haben sich seit den 1970er Jahren sehr dynamisch entwickelt. Dafür sind institutionelle Umstände in Rechnung zu stellen, vor allem aber die wissenschaftsimmanenten Prozesse der Ausdifferenzierung von Forschungsansätzen und die gesellschaftlichen Erwartungen, die an das Fach Geschichte gestellt werden.
Institutionell hat die Geschichts- und damit Frühneuzeitforschung vom wissenschaftspolitisch forcierten Ausbau der Drittmittelförderung seit den 1970er Jahren stark profitieren können. Neue Themen, neue Methoden und Ansätze können auf dieser Grundlage entdeckt und beforscht werden. Damit sind aber zugleich auch Probleme verbunden: Hierzu gehört zum einen der ständige Druck im Dreijahresrhythmus neue Ideen zu entwickeln, wodurch die Verfolgung langfristiger Forschungsvorhaben behindert wird. Zum anderen hat sich die Zahl an Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler durch die Ausweitung der Drittmittel- und Verbundprojekte vervielfacht. Nur wenigen ist es vergönnt, eine der wenigen Dauerstellen zu erlangen.
Die Ausdifferenzierung der Geschichtswissenschaft insgesamt, verbunden mit der Erweiterung der Gegenstandsbereiche und der Vervielfältigung der methodischen Ansätze, folgt der Eigendynamik wissenschaftlichen Arbeitens. Eine Vorreiterrolle kam dabei über viele Jahre den Forschungen zur Frühen Neuzeit zu. Im Zuge dieser Entwicklung haben sich Historikerinnen und Historiker Themen und Methoden von zahlreichen Nachbardisziplinen angeeignet. Diese Anleihen in anderen Fächern gingen einher mit einer Dezentrierung in Bezug auf die Deutungsangebote, die Geschichtswissenschaft anzubieten hat. Dass wir die „Großen Erzählungen“ über den Gang der Geschichte und den hervorragenden Rang Europas mittlerweile meiden, ist ethisch und epistemologisch sicherlich geboten. Verbunden mit der oben angedeuteten Ausdifferenzierung von Themen und Methoden sind damit jedoch auch Probleme verbunden. Die Geschichtswissenschaft insgesamt und die Forschung zur Frühen Neuzeit im Speziellen generieren keine öffentlichen Debatten mehr, Relevanzfragen werden gar nicht mehr gestellt, Geschmacksurteile treten an deren Stelle. So entsteht der fatale Eindruck, alles ist möglich, nichts ist mehr wichtig. Das gefährdet die Außenwahrnehmung des Fachs: Welche Ergebnisse historischer Forschung – jenseits der Zeitgeschichte – werden von der außeruniversitären Öffentlichkeit überhaupt noch wahrgenommen? Was davon kommt im Geschichtsunterricht an den Schulen an? Die Mischung aus Ignoranz der Öffentlichkeit und einer gewissen Mut- und Ratlosigkeit von Historiker*innen ob ihrer eigenen öffentlichen Wirkung kann problematisch werden, wissenschafts- und allgemeinpolitisch. Angesichts der aktuellen politischen Lage stellt sich die Frage, inwiefern eine von postmodernem Konstruktivismus geprägte Geschichtswissenschaft zur wert- und wahrheitsbasierten Orientierung westlich-demokratischer Gesellschaften taugt.
Hierüber diskutierten an der Universität Duisburg-Essen Stefan Brakensiek (Duisburg-Essen), Verena Lehmbrock (Erfurt), Ulrike Ludwig (Münster), Hillard von Thiessen (Rostock); Moderation Gerd Schwerhoff (Dresden). Die Podiumsdiskussion fand im Rahmen der Verabschiedung von Stefan Brakensiek als Professor am Historischen Institut der Universität Duisburg-Essen statt.