In aller Munde ist seit vielen Jahren der Begriff der "Wissensgesellschaft". Verbunden ist er unter anderem mit der Vorstellung, in einer Zeit zu leben, in der man so viel weiß wie noch nie zuvor, in dem Wissen nahezu täglich wächst und das Wissen darüber hinaus für jede und jeden verfügbar ist. Kurzum: Wissen macht die Welt besser, so das Versprechen bzw. die Hoffnung. Was aber, wenn Wissen unter kapitalistischen Bedingungen produziert und distributiert wird? Was, wenn Wissen mit Eigentumsverhältnissen korrespondiert? Der Soziologe und Kulturwissenschaftler Prof. Dr. Nico Stehr meint in diesem Zusammenhang, dass moderne Wissensgesellschaften dann die Gestalt des Wissenskapitalismus annehmen. Wie das genau zu verstehen ist, dazu haben wir ihm unsere Fragen gestellt.
"Wissen ist mehr denn je die Grundlage und Richtschnur menschlichen Handelns"
L.I.S.A.: Herr Professor Stehr, Sie forschen als Soziologe seit vielen Jahren zum Komplex Wissen. Nun haben Sie ein umfassendes Buch mit dem Titel "Wissenskapitalismus" veröffentlicht. Was hat Sie dazu bewogen, sich nun dem Thema Wissen und seinen kapitalistischen Implikationen zuzuwenden? Welche Beobachtungen und Vorüberlegungen gingen Ihrem Buch voraus?
Prof. Stehr: Bei der Auseinandersetzung mit der Theorie der modernen Gesellschaften als Wissensgesellschaften habe ich von meinen eigenen Versuchen profitiert, die Entwicklung der modernen Gesellschaft zu verstehen und zu theoretisieren. Mein Verständnis wurde zunächst durch die Beschäftigung mit der klassischen Wissenssoziologie und dem Werk von Karl Mannheim angeregt. Seine Vision und sein Verständnis der Auswirkungen des Wissens auf die Gesellschaft, ganz zu schweigen von der Prägung des Wissens durch die Gesellschaft, sowie die Diskussionen einer internationalen Konferenz im Jahr 1984 an der Technischen Universität Darmstadt, nicht zuletzt unter der Leitung und intellektuellen Inspiration von Gernot Böhme, tragen dazu bei, die Idee der Wissensgesellschaft zu kristallisieren.
Meine zentraler Befund lautete, dass nicht Natur, Unfälle, Gewalt, Katastrophen, Macht usw., sondern Wissen mehr denn je die Grundlage und Richtschnur menschlichen Handelns in allen Bereichen unserer Gesellschaft ist.
Die Antwort auf die Frage nach der Quelle wachsenden Wohlstands in modernen Gesellschaften, führten mich dazu, mein Augenmerk auf die wirtschaftliche Bedeutung des Wissens zu lenken. In der Ökonomie spielte der Stellenwert des Wissens lange eine nur untergeordnete Rolle. Ein bekannter Ökonom brachte diese Tatsache auf folgenden Nenner: In der Ökonomie besetzte das Wissen die Hundehütte oder war auf den Dachboden des Wirtschaftsdiskurses verbannt.