„Here, as refugees we have to come together.“ Diese Aussage stammt aus einer Fokusgruppendiskussion mit Repräsentant*innen von Geflüchteten im Flüchtlingslager Kyaka II in Uganda. Sie verdeutlicht die Relevanz und Notwendigkeit von gegenseitiger Hilfe und Gruppenbildung für Geflüchtete, um mit den herausfordernden Bedingungen im Lager umzugehen. Die Repräsentant*innen erklärten weiter „One of the reasons we have these groups is the problems we encounter as refugees and yet the office here is not helping us. We decided to come together and do something that could help us as refugees. So even if we did not receive assistance from the office, as refugees, we can solve our problems.“
Wirtschaftliche Risiken für und Praktiken von Geflüchteten in Aufnahmelagern
Ein Beitrag von Hannah Schmidt
Obwohl Geflüchteten in Flüchtlingslagern wie Kyaka II Zugang zu Schutz und Unterstützung von humanitären Organisationen erhalten, zeigen die Zitate nicht nur, dass diese Maßnahmen meist nicht ausreichen. Darüber hinaus belegen sie die Bedeutung der eigenen Handlungen der Menschen im Lager. Und letzteres steht im Mittelpunkt des Forschungsprojekts Globaler Flüchtlingsschutz und lokales Flüchtlingsengagment, das von der Gerda Henkel Stiftung gefördert wird.
Die Kritik an unzureichenden humanitären Maßnahmen ist keineswegs neu, sondern korrespondiert mit Studien über die Bedingungen in Flüchtlingslagern weltweit. Sie bemängeln hierarchische und ungenügende humanitäre Maßnahmen, die selten die eigentlichen lokalen Bedarfe der Menschen befriedigen können. In der wissenschaftlichen Literatur führt dies zur Kritik, Flüchtlingslager reduzieren die Bedarfe der Menschen auf ihr reines Überleben und begrenzen ihre Handlungsmöglichkeiten. Nichtdestotrotz ist ein Flüchtlingslager immer auch ein Ort der Aushandlung, in denen Geflüchtete (teils illegalisierte) ökonomische Strategien nutzen, (politische) Identitäten formen und alltägliche Herausforderungen bewältigen.
Auch in Kyaka II sprachen viele Teilnehmende über Probleme des täglichen Überlebens. In Uganda erhalten Geflüchtete in Aufnahmelagern ein kleines Stück Land für Agrarwirtschaft. Dadurch sollen sie Subsistenz erreichen, denn der landwirtschaftliche Ansatz basiert auf politischen Strategien (u.a. SRS und DAR), die auf die Selbstständigkeit der Geflüchteten abzielen. In dem Zuge werden auch die Ausgaben von Hilfsgütern in einem gestaffelten System gekürzt. Jedoch existieren Beschränkungen, die das Erreichen von eigenständiger Subsistenz erschweren. Beispielsweise wurde das zur Verfügung gestellte Land im Lager in den vergangenen Jahren immer wieder gekürzt aufgrund neu ankommender Geflüchteter. In der Folge verringern sich Ernteerträge meist auf ein Minimum, das kaum für die eigene Nahrung reicht, geschweige denn zum Sparen oder Investieren. Ähnliche Kritik äußerte Meredith Hunter bereits 2009.
Ohne eigenes Kapital werden jedoch anfallende Kosten etwa für Schulgebühren oder medizinische Versorgung zur großen Herausforderung. Zudem fehlt es an Startkapital für den Aufbau weiterer Einkommensquellen. Diejenigen, die erfolgreiche Geschäfte in Kyaka II geschaffen haben, führen dies meist auf die in der Vergangenheit größeren zu bewirtschaftenden Flächen zurück oder auf Kapital aus dem Ausland. Doch auch sie sehen die Kürzungen als Gefahr für das Fortbestehen ihrer Geschäfte.
Die Beschränkungen der landwirtschaftlichen Betätigung stehen exemplarisch für ökonomische Probleme, die Geflüchtete in Lagern wie Kyaka II erfahren. Sie bedeuten aber keinesfalls, dass sich die Menschen den Bedingungen reglos unterwerfen. Unsere Forschung zeigt vielmehr, dass sie vielfältige ökonomische Strategien individuell und kollektiv nutzen, um Einkommen zu erwirtschaften und bestehende Herausforderung zu bewältigen. Sie etablieren z.B. kleine Geschäfte, in denen sie sich auf eine Ware spezialisieren, oder bieten Dienstleistungen wie Friseur- oder Transportdienste an. Vor allem aber finden sie sich in verschiedenen Gruppen zusammen, wie etwa Spargruppen und Landwirtschaftskooperativen.
Die ökonomische Landschaft von Kyaka II ist also ein Zusammenspiel von vielen verschiedenen Faktoren, die insbesondere durch die ökonomischen Praktiken der Geflüchteten ausgestaltet und geprägt wird. Diese Praktiken besitzen weitreichende Bedeutung für die Menschen. Denn sie helfen sich nicht nur individuell, sondern auch gegenseitig und schaffen gemeinsam Unternehmen.
Generell beschreiben viele Geflüchtete in Kyaka II einen Gegensatz zwischen (durch humanitäre Organisationen) technokratisch bestimmter Bedürftigkeit und real erlebten Engpässen. Obgleich humanitäre Organisationen, Infrastrukturen wie Schulen, Krankenhäusern etc. bereitstellen, sind sie nicht immer der erste Anlaufpunkt für plötzliche Notfälle, unter anderem auch wegen der schwerfälligen bürokratischen Kategorisierung von Hilfsbedürftigkeit und Bereitstellung von Hilfsleistungen. Während es sogenannte humanitäre Screenings gibt, die die Hilfsbedürftigkeit der Einzelnen filtern sollen, fallen viele andere durch das Raster. Sie müssen andere Wege zur Bewältigung von Problemen finden.
Hierfür sind soziale Zusammenschlüsse und informelle Unterstützungssysteme zentral. So wird beispielsweise das Ankommen im Lager als besonders herausfordernd beschrieben. Da es für diejenigen, deren Status noch geprüft wird, kaum humanitäre Unterstützung gibt, entwickeln sich andere Geflüchtete zu zentralen Unterstützer*innen. Diese versorgen sie mit Essen oder bieten ihnen Arbeit. Vor allem aber agieren sie als ‚Expert*innen‘, die die Neuankommenden über das Leben und die Regeln im Lager aufklären.
Zudem kommt es zu Zusammenschlüssen, um Risiken kollektiv zu mindern. Deutlich werden sie etwa in der Formierung von Gruppen, in denen sich Mitglieder gegenseitig finanziell für Notfälle absichern. Eindrücklich schilderte ein Mann in Kyaka II die Relevanz solcher Gruppen bei Todesfällen: „When we realized we are here and we do not have much help, when one loses a friend or member, it is difficult to get a coffin. So we decided to come together and contribute 5000 shillings so that in the event of death, it would be of help. This was successful.“
Doch auch neben Notfallhilfe spielen kollektive Unterstützungen von und für Geflüchtete eine wichtige Rolle, etwa für den Aufbau von Geschäftsmodellen. Erfolgreiche Geflüchtete fungieren ökonomisch als Arbeitgeber*innen und verschaffen so anderen Zugang zu Einkommen. Zudem berichten viele Teilnehmenden in Kyaka II, dass sie Ideen über mögliche Einkommensstrategien von anderen Geflüchteten hätten, die sie oftmals mit dem entsprechenden Wissen etwa über Handelswege, Märkte oder Kontakte versorgten. Das Wissen, wie man Einkommen generiert, wird also untereinander geteilt. Dies lässt sich auch erweitern auf das Teilen von Fähigkeiten. So berichteten zwei Frauen, dass sie durch ihre Freundinnen frisieren und Nähen gelernt hatten. Daher verursachen die schwierigen Verhältnisse im Lager nicht nur die Notwendigkeit eigener Strategien der Geflüchteten. Überdies entwickeln sich die Lager zu Möglichkeitsräume von und für Geflüchtete, um erfolgreicher Geschäftsmodelle zu schaffen und erweitern.
Eine übliche ökonomische Praktik von Geflüchteten umfasst die Vergabe von Krediten. Dies wird durch Ladenbesitzer*innen oder sogenannte Spargruppen übernommen. Dies sollte nicht als rein altruistische Hilfe missverstanden werden, da die Zinsen bis zu 20% reichen und Kreditgebende somit eigene Interessen verfolgen. Dennoch beschreiben viele Teilnehmenden in Kyaka II die Notwendigkeit von Krediten, um über Notfälle und Engpässe hinweg zu kommen, was Evan Easton-Calabria und Naohiko Omata ebenso diskutieren. Als einziger Zugang dazu werden ökonomisch erfolgreichere Geflüchtete somit zu informellen Banken innerhalb des Flüchtlingslagers.
Daher belegen die Daten, dass die eigenen (ökonomischen) Praktiken von Geflüchteten in Kyaka II zentrale Bewältigungsstrategien sind. Diese rekurrieren oftmals auf sozialen Netzwerken und informellen Unterstützungsleistungen. Dabei ist es aber wichtig, Geflüchtete nicht als ‚sich helfende Einheit‘ zu essentialisieren. Nicht alle Geflüchteten sind Teil eines ‚natürlichen Solidarsystems‘, wie eine Kongolesin erklärte: „It is not everybody who does that. There are also people who have much but they don’t give anything.” Gleichzeitig könne sich aus der Verpflichtung zu helfen auch bedeutende Belastung für die entsprechenden Personen ergeben. Während also Besitz kein Indikator für die Bereitschaft zu helfen ist, kann man dennoch feststellen, dass sich Armut negativ auf die Möglichkeiten zu helfen auswirkt – und viele Menschen in Flüchtlingslagern leiden unter Armut. Eine Gruppe von älteren Männern erzählte, dass sie die kongolesische Kultur als eine des Helfens wahrnehmen, die durch fehlende Ressourcen nicht immer aufrechtzuerhalten sei.
In Zeiten ungenügender humanitärer Leistungen stellt sich die Frage, wie sich das auf die kollektive Hilfe auswirken wird. Denn während unserer Forschung erschien diese als elementar, wofür die Aussage einer jungen Frau exemplarisch ist: „I would have starved if it was not for the help from those families at the reception center“.