Das Ende des Zweiten Weltkriegs in täglichen Tweets zu erzählen, ist unmöglich. Dafür ist die Abfolge der Ereignisse kaum zu überschauen, die Bedingtheit des einen durch das andere zu komplex. Trotzdem hat sich ein Kollektiv aus fünf jungen Historikerinnen und Historikern der Herausforderung gestellt, über den Kurznachrichtendienst Twitter an das Kriegsende von Januar 1945 bis zum 8. Mai in ausgewählten Tweets zu erinnern. Wir haben dem Initiator des Projekts @digitalpast Moritz Hoffmann, der Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Seminar der Universität Heidelberg ist, unsere Fragen gestellt.
"Nicht auf den ausgetretenen Pfaden der medialen Narrative wandeln"
L.I.S.A.: Herr Hoffmann, Sie haben gemeinsam mit anderen Twitterern den Twitter-Account „@digitalpast – Heute vor 70 Jahren“ betrieben. Dabei geht es darum, die letzten vier Monate vor Ende des Zweiten Weltkriegs bei Twitter…ja, was eigentlich? Darzustellen, zu begleiten, zu erinnern, zu hinterfragen? Was ist das Kernmotiv?
Hoffmann: Nachdem feststand, dass wir ein Nachfolgeprojekt zu @9Nov38 auf die Beine stellen können, haben wir als Team uns an die Themenfindung gemacht - dabei ging es uns darum, einerseits in unserem Fachgebiet, der Geschichte des 20. Jahrhunderts zu bleiben, andererseits aber natürlich auch das Momentum der historischen Jahrestage zu nutzen. Letztlich erschien uns da die Schlussphase des Zweiten Weltkriegs als die folgerichtigste Option, allerdings wollten wir unter allen Umständen vermeiden, auf den ausgetretenen Pfaden der medialen Narrative zu wandeln - also von den großen Schlachten zu Hitlers Selbstmord und der Unterzeichnung der Kapitulation zu eilen, ohne einen neueren Blickwinkel einzunehmen. Daher haben wir uns schlicht gefragt, was wir selbst nicht ad hoc über diese Zeit wissen, und das war in allererster Linie die Alltagsgeschichte - wie die Menschen, bewusst mit diesem unpräzisen Begriff, diese Zeit erlebt haben. Das sind natürlich auch die "Großen Männer", aber auch die ganz normale Bevölkerung, die kleinen Täter und die vielen Opfer des Nationalsozialismus. Insofern ist unser erstes Kernmotiv tatsächlich die Darstellung unserer Narrative, aus der aber die vielen anderen Motive folgen. Geschichtsvermittlung ist natürlich immer Erinnerung, gerade in diesem Fall allerdings auch Begleitung, denn aus der Logik der runden Jahrestage ergab sich eine dauerhafte mediale Präsenz einzelner Ereignisse des Jahres 1945, die wir fortlaufend wissenschaftlich fundiert ergänzen konnten.
Reactions to the article
Comment