Der Glaube an die Lykanthropie – also die Verwandlung eines Menschen in einen Werwolf – ist für verschiedene Regionen und Zeiten überliefert. So auch für das Europa der Frühen Neuzeit, denn neben Prozessen gegen angebliche Hexen und Hexer wurden auch vermeintliche Wolfsverwandlungen vor Gericht verhandelt. Die Historikerin Dr. Erika Münster-Schröer hat sich im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Arbeit mit den Prozessen beschäftigt und nach Erklärungsansätzen für die Phänomene gesucht. Wir haben die Wissenschaftlerin um ein Interview und eine Einschätzung gebeten. Dabei wollten wir unter anderem wissen, warum es gerade der Wolf war, der ins Zentrum des Geschehens rückte und welche Rolle das Geschlecht bei den angeblichen Verwandlungen spielte.
"Hexenverfolgungen gab es in vielen Regionen der Welt "
L.I.S.A.: Frau Dr. Münster-Schröer, in Ihren Forschungen beschäftigen Sie sich unter anderem mit den sogenannten Hexen- und Werwolfprozessen der Frühen Neuzeit. Bevor wir zu den inhaltlichen Fragen kommen: Was fasziniert Sie an diesem Thema? Wie sind Sie auf die Prozesse als Forschungsgegenstand aufmerksam geworden und welche Überlegungen gingen der Beschäftigung mit der Thematik möglicherweise voraus?
Dr. Münster-Schröer: Ich habe mir das Thema „Hexenverfolgung“ zunächst gar nicht selbst ausgesucht - ja, ich hatte es nicht einmal ansatzweise im Blick: Als junge Wissenschaftlerin im Stadtarchiv Ratingen erhielt ich zu Beginn der 1990er-Jahre den Auftrag, einen Antrag einer politischen Fraktion im Stadtrat fachgerecht zu prüfen. Einige Ratsfrauen hatten sich damals dafür stark gemacht, dass eine Gedenktafel für in Ratingen als Hexen verfolgte und hingerichtete Frauen an der Stadtmauer oder einem Stadtturm angebracht werden sollte. Viele Ratsmitglieder und auch die Verwaltungsspitze waren aber sehr skeptisch. Sie warfen die Frage auf, ob überhaupt alles so stimme, was in tradierten Erzählungen aus der Stadtgeschichte zu lesen war: dass nämlich Ratingen ein Hort der Hexenverfolgung gewesen sei und dort seit 1499 schwere Verfolgungen stattgefunden hätten. Tatsächlich hatten sich im kulturellen Gedächtnis der Stadt Überlieferungen aus Sagen mit tradierten Quellen verwoben, in welchen schreckliche Gerichtsverfahren gegen vermeintliche Hexen, Taugenichtse und Diebe überliefert waren. Nachdem ich alles genau untersucht hatte, stellte sich heraus, dass in diesem Jahr 1499 fünf Frauen wegen Schadenszauber – an Kühen, Pferden und Milch – vor Gericht gestellt wurden. Zwei wurden als schuldig angesehen, verurteilt und im Frühjahr des Jahres 1500 verbrannt. Die Errichtung einer Gedenktafel wurde aufgrund dieser Forschungsergebnisse im Stadtrat abgelehnt, da es sich eher um Einzelfälle als um größere Verfolgungen handele, so die herrschende Auffassung. Für mich selbst war die Beschäftigung mit dem Thema „Hexenverfolgung“ aber eine Initialzündung: Ich wollte mehr wissen, fragte mich, wie es zu so grausamen Handlungen gegen Frauen kommen konnte, welche Theorien, Gesetze und Akteure dahinter zu suchen seien. Ich suchte Kontakte zu anderen Wissenschaftlern und wurde Mitglied im Arbeitskreis „Interdisziplinäre Hexenforschung“. Dort konnte ich feststellen, dass es Hexenverfolgungen in vielen Regionen der Welt gab – ja, und sogar noch immer gibt, z. B. in afrikanischen Ländern. Nach vielen Jahren der Beschäftigung mit dem Thema und vielen Quellenstudien gibt es immer wieder neue Fragen, sodass das Thema mich nicht loslässt.