Ist es erstrebenswert, ein Kosmopolit oder eine Kosmopolitin zu sein? Die Geschichte der Moderne, insbesondere des 20. Jahrhunderts, hat darauf in der Regel zwei sich diametral gegenüberstehende Antworten: Ja, denn Kosmopolitismus befreit von nationalen Scheuklappen und ist der Menschheit im Ganzen positiv zugewandt. Nein, denn der Kosmopolitismus ist beliebig, heimatlos und entpolitisiert. Für den Historiker PD Dr. Malte König sind diese beiden Positionen nicht entscheidend. In seinem von der Gerda Henkel Stiftung geförderten Forschungsprojekt geht er vielmehr der Frage nach, wie sich Kosmopolitismus in der Praxis gezeigt hat. Gab es in der Zwischenkriegszeit (1919-1939) so etwas wie eine Kosmopolitik? Wer waren die Akteure, die sich einer kosmopolitischen Praxis verpflichtet sahen? Wir haben Malte König diese und weitere Fragen in unserem Interview gestellt.
"Kosmopolitismus systematisch als Praxis untersuchen"
L.I.S.A.: Herr Professor König, im Rahmen Ihres aktuellen Forschungsprojekts untersuchen Sie den Kosmopolitismus in der Zwischenkriegszeit von 1919 bis 1939. Der Arbeitstitel Ihres Themas lautet: "Kosmopolitismus in der Praxis: Weltbürger, Europäisten und Nationalisten im Widerstreit 1919-1939". Bevor wir zu einigen Details kommen - woher stammt Ihr Interesse für dieses Thema? Was hat Sie bewogen, sich mit dem Thema Kosmopolitismus wissenschaftlich zu beschäftigen? Welche Überlegungen gingen Ihren Studien voraus?
Prof. König: Den Denkanstoß erhielt ich vom Staatsrechtler Carl Schmitt, der 1932 behauptet hat, dass es der „realen Möglichkeit des Feindes“ bedürfe, um eine politische Einheit bilden zu können. Zu Ende gedacht hieße das ja, dass Kosmopolitismus eine Utopie ist, die sich in Luft auflöst, sobald man versucht, sie in die Praxis umzusetzen. Folgt man Schmitt, handelte es sich um eine Weltsicht, die entpolitisiert. Daran anknüpfend habe ich mich gefragt, ob es so etwas wie „Kosmopolitik“ oder eine „Partei der Kosmopoliten“ überhaupt geben kann. Was geschieht mit „Weltbürgertum“, wenn man dieses nicht als ferne Vision begreift, sondern als konkrete Politik im Alltag betreibt? Und wie sähe diese konkrete Politik aus? Diese Grundgedanken waren der Kern, der mich neugierig machte. Im nächsten Schritt habe ich dann nach kosmopolitischen Projekten in der Geschichte gesucht, um der Sache empirisch auf den Grund zu gehen, und stieß als erstes auf Esperanto, eine leicht erlernbare Plansprache, die Ludwik Zamenhof Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte – mit dem Ziel, der Menschheit ein einheitliche Hilfssprache zur Verfügung zu stellen. Kosmopolitische Praxis par excellence, könnte man sagen. In den zwanziger Jahren boomte die Sprache. Im Völkerbund wurde debattiert, den Mitgliedsstaaten Esperanto als Schulsprache zu empfehlen. Nun, und wenn man ein Beispiel findet, finden sich auch weitere, dachte ich und überlegte, wie man in der Zwischenkriegszeit mehrere Sonden setzen kann, um systematisch Kosmopolitismus als Praxis zu untersuchen.