Das Zitat im Titel „We live in a group“ stammt von einem Mann, der allein aus der Demokratischen Republik Kongo (nachstehend abgekürzt: Kongo) geflohen ist und mit dieser Aussage sein Leben in Kampala, der Hauptstadt Ugandas beschreibt. Im Interview schildert der 26-jährige Mann, dass er kurz nach seiner Ankunft in Uganda fünf andere Geflüchtete getroffen hat, die ihn darüber informierten, wo er in Kampala leben sollte, weil dort auch andere Geflüchtete aus dem Kongo leben. Im Laufe der Zeit wurden sie enge Freunde, suchten sich eine gemeinsame Unterkunft und helfen sich seither gegenseitig. Diese kollektive Unterstützung erklärt der Mann damit, dass sie ihre Mittel bündeln und so dazu beitragen, ihre Grundbedürfnisse wie die Zahlung von Miete und Essen zu erfüllen. Ihr Netzwerk biete also ein gewisses Unterstützungssystem und Maß an Schutz für sie. Um sich in Kampala zu integrieren, besser mit Ugander*innen zu interagieren und Arbeit zu finden, erwähnt er zudem, dass er Englisch lernt, wobei seine Freunde den Mittelpunkt seines sozialen Lebens darstellen – und genau das betont er mit der Aussage, „wir leben in einer Gruppe“.
„We live in a group“: Zur Rolle von sozialen Gruppen als Bewältigungsstrategien von Geflüchteten in Kampala
Ein Beitrag von Ulrike Krause
Dies stellt keinesfalls einen Einzelfall dar. Vielmehr waren Narrative über gegenseitigen Schutz und die Bedeutung sozialer Netzwerke weit verbreitet unter Geflüchteten, die an der Forschung in Kampala im Projekt Globaler Flüchtlingsschutz und lokales Flüchtlingsengagement teilgenommen haben, das von der Gerda Henkel Stiftung gefördert wird. Die Einblicke sind also vergleichbar. Die meisten Teilnehmenden sind vor Konfliktgewalt im Kongo nach Uganda geflohen und haben sich anstatt eines Lebens in einem Flüchtlingslager für die Stadt entschieden. Häufig gaben sie an, dass sie von schlechten Lebensbedingungen und hohen Gewaltprävalenzen in Lagern von anderen Geflüchteten gehört hatten, dass sie nie zuvor auf dem Land gelebt hatten und Städte bevorzugten, oder dass sie die besseren Möglichkeiten etwa des Studierens oder der Arbeitssuche im Kampala nutzen wollten.
Während die meisten Teilnehmenden erklärten, dass sie sich in Kampala vor allem tagsüber recht sicher fühlten, beschrieben sie auch diverse Gefahren. Besonders häufig sprachen sie von unzureichenden Lebensgrundlagen, Angst vor Gewalt und sozialer Ausgrenzung. Ihre Angst vor gewaltsamen Übergriffen offenbarte sich primär in Verweisen auf nächtliche Unsicherheiten, Einbrüche, teilweise aber auch auf physische Handgreiflichkeiten und sexuelle Übergriffe. Zudem litten die Menschen unter sozialer Ausgrenzung. Eine besondere Hürde stellte die Sprache dar, denn nicht alle hatten ausreichende Kenntnisse in Englisch oder einer lokalen Sprache in Uganda. Dass fehlende Sprachkenntnisse weitläufige Folgen haben kann, belegen diverse Aussagen darüber, dass Preise auf Märkten, für Mieten oder medizinische Behandlungen für nicht englisch Sprechende oder Muttersprachler*innen erhöht wurden.
Limitierte wirtschaftliche Sicherheiten stellten das am häufigsten benannte Problem dar, obwohl viele Geflüchtete in Kampala lebten, um besser wirtschaftliche Möglichkeiten zu nutzen. Ein Leben ‚von der Hand in den Mund‘ wurde beschrieben, bei dem die Menschen schwerlich feste Arbeitsstellen entsprechend ihrer Qualifikationen fanden und unzureichende Mittel für Schule, medizinische Versorgung und Nahrung hatten. Anstatt in ein Flüchtlingslager zu ziehen, wo sie Zugang zu humanitären Leistungen erhalten würden, entschieden sich viele dafür, sich selbstständig zu machen und kleine Geschäfte in der Stadt zu etablieren.
Doch Geflüchtete gehen nicht nur individuell mit solchen Herausforderungen um und suchen nach Lösungen, sie nutzen auch kollektiven Bewältigungsstrategien, denen ein besonderer Wert zukommt. Denn die Hauptquelle zur Bewältigung von Missständen – egal ob soziale, wirtschaftliche oder sicherheitsbezogene Herausforderungen – sind die sozialen Unterstützungsnetzwerke der Menschen. Ähnlich der Beschreibung von dem 26-jährigen Mann spielen solche Netzwerke eine Schlüsselrolle für die Sicherheit, den Lebensunterhalt und den Alltag von Geflüchteten in Kampala. Sie existieren in verschiedenen Formen, von lockeren bis zu institutionalisierten Zusammenschlüssen wie Freundschaften, religiöse Gruppen oder wirtschaftliche Netzwerke. Auch andere Forschende wie Susan Thomson, Eveliina Lyytinen oder Elizabeth Campbell verweisen auf die Bedeutung sozialer Unterstützungssysteme.
In kollektiver Weise teilen Geflüchtete relevante Informationen, wählen spezifische Umgebungen zum Leben, in denen sie sich sicher fühlen und Räume der Zugehörigkeit schaffen, und unterstützen sich gegenseitig, um ihr individuelles Leben zu verbessern und sich zu schützen. Zudem nutzten die Menschen ihre Netzwerke strategisch, etwa indem sie Spargruppen initiieren oder kleine Unternehmen gemeinsam gründeten. Solche Unternehmen reichen vom Verkauf von Seife und Zucker, kleinen Restaurants und Friseursalons bis hin zu Boutiquen. Spargruppen dienten dem gemeinsamen Ansparen von Geld, vor allem aber auch der gegenseitigen Hilfe, da sich Mitglieder Geld von den Gruppen leihen können, etwa um Mieten oder Schulgebühren zu zahlen.
Die wichtigste Komponente bei ihren Gruppen ist die soziale Komponente – der soziale Zusammenhalt und die Schaffung von Zugehörigkeit. Eine Frau aus Somalia sagte beispielsweise, „We as Somalis, we help each other. We are a Somalis community. We believe in sharing because we are a brotherhood. I share whatever I have with my friend. That little is enough to go all around. We are communal. That is why we have survived so far.“
Ähnliches wurde von Geflüchteten aus dem Kongo betont. Und dies zeigt sich in aller Deutlichkeit daran, dass Geflüchtete aus gewissen Herkunftsländern nah beieinander in bestimmten Stadtteilen in Kampala leben. Dies ermöglicht den Menschen eine weitläufigere Umgebung der Zugehörigkeit zu schaffen, in der sie Gewohnheiten teilen und ihre Sprache sprechen können. Eine Frau aus dem Kongo stellte den psychologischen Wert der eigenen Sprache heraus und sagte, dass die Gruppe ihr zunächst helfe, sich nicht isoliert zu fühlen, und bei Problemen berate.
Während Kollektivität stets mit individuellen Bedarfen und Handlungen verbunden ist, teilten viele Menschen, die an der Forschung teilgenommen haben, ein gruppenorientiertes Denken. Sie bezogen sich in erster Linie auf Menschen aus ihren Herkunftsländern, sodass Unterstützungssysteme aus Personen mit ähnlicher Herkunft und damit auch geteilter Fluchterfahrungen, Sprache und kultureller Gewohnheiten geprägt waren. Unabhängig davon, ob die Menschen über nachbarschaftliche, freundschaftliche oder wirtschaftliche Gruppen sprachen, bedeutsam war die Zugehörigkeit und gegenseitige Unterstützung, die aus den sozialen Gruppen und Netzwerken entstand.