Die Medienkritik ist so alt wie ihr Gegenstand selbst. Insofern ist es für Medienschaffende nichts Neues, wenn sie für ihr Tun aus unterschiedlichen Richtungen kritisiert werden. Was sich aber geändert hat, sind Form und Schärfe der Kritik, die sich zuletzt auf das Schlagwort "Lügenpresse" verdichtet hat. Neu sind auch die Kanäle und Wege, über die sich medienkritische Äußerungen heute verbreiten können. Was sich einst vor allem in Leserbriefen und Programmbeschwerden eher lautlos vollzog, findet heute sein Pendant in stimmgewaltigen Kommentaren und medialen Gegenentwürfen in Sozialen Netzwerken, in denen Leitmedien Einseitigkeit, Parteilichkeit und bewusste Manipulationen vorgeworfen wird. Die von alternativen Medien gestreuten Neuigkeiten und Einschätzungen werden nun wiederum von etablierten Zeitungen, Radio- und Fernsehsendern sowie Internetportalen als "Fake News" beziehungsweise "postfaktisch" bezeichnet, gegen die man nun gemeinsam vorgehen müsse. Der Medienwissenschaftler Dr. Uwe Krüger von der Universität Leipzig hat sich intensiv mit den gegenwärtigen Medien und der Kritik an ihnen beschäftigt. Wir haben ihm dazu unsere Fragen gestellt.
"Erodierendes Vertrauen in politische und gesellschaftliche Institutionen"
L.I.S.A.: Herr Dr. Krüger, Sie forschen als Medienwissenschaftler über den Journalismus. Ihre vielbeachtete Dissertationsarbeit ist 2013 unter dem Titel „Meinungsmacht“ erschienen, in dem Sie den Einfluss von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten kritisch untersucht haben. Darin zeigen Sie unter anderem Leerstellen und Tabus in der Berichterstattung der Leitmedien auf. In einem zweiten Buch, „Mainstream“, stellen Sie fest, dass viele Menschen den Medien nicht mehr trauen und fragen nach der Ursache des Vertrauensverlustes, der im Begriff der „Lügenpresse“ seinen stärksten Ausdruck findet. Nun geistert in diesem Zusammenhang ein neuer Begriff durch die Medienlandschaft: „Fake News“. Welche diskursive Funktion kommt ihm zu? Welche Bedeutung hat er für die Leitmedien? Ist es gar der mediale Gegenbegriff zur „Lügenpresse“?
Dr. Krüger: So kann man das sehen. Als 2014 erstmals massive Lügenpresse- und Systemmedien-Vorwürfe aufkamen – im Zuge der Ukraine-Krise und Krim-Annexion, später auch während der Flüchtlingskrise – da reagierte das politische und mediale Establishment zunächst mit einem Gegendiskurs über „Verschwörungstheorien“. Seit einigen Monaten sind „Fake News“ und „postfaktisch“ die neuen Schlagworte im Kampf um die Deutungshoheit. Dahinter steht ein erodierendes Vertrauen in die politischen und gesellschaftlichen Institutionen – übrigens in vielen Ländern, wie das neue Edelman Trust Barometer zeigt. Im Zuge dieser Vertrauenskrise werden offizielle bzw. offiziöse Wirklichkeitsdarstellungen – man könnte auch sagen: orthodoxe Sinnhorizonte und Deutungsmuster – stärker in Zweifel gezogen und ketzerische Diskurse mit heterodoxen Wirklichkeitsbestimmungen geführt. Teil dieser heterodoxen Sinnwelten sind auch erfundene Nachrichten mit entsprechendem politischem Spin.