Die mobile Viehwirtschaft hat in der Mongolei bis heute eine große Bedeutung und blickt dabei auf eine lange Geschichte, die von einer besonderen Beziehung zwischen Mensch und Nutztier geprägt ist. Sarah Pleuger, Promotionsstipendiatin der Gerda Henkel Stiftung, beschäftigt sich in ihren Forschungen mit dieser Beziehung ab der frühen Bronze- bis in die Eisenzeit. Sie macht dabei von Methoden der Stabilen Isotopenanalyse Gebrauch, weiß jedoch auch um die Besonderheit der Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen vor Ort. Wir haben die Archäologin um ein Interview gebeten und wollten unter anderem von ihr wissen, wie sich die Interaktionen zwischen Mensch und Tier über die Zeit hinweg verändert haben und wie sich die Beziehung zur Bronzezeit charakterisierte.
"Oft wird die Lebensweise in den Medien sehr überstilisiert dargestellt"
L.I.S.A.: Frau Pleuger, in einem von der Gerda Henkel Stiftung geförderten Promotionsprojekt blicken Sie auf die Viehwirtschaft in der östlichen Mongolei zur Bronzezeit und widmen sich dem Thema aus archäozoologischer Sicht. Bevor wir zu Ihrem Projekt kommen: Welchen Stellenwert hatte die Viehwirtschaft in der östlichen Mongolei? Warum lohnt die wissenschaftliche Betrachtung?
Pleuger: Die mobile Viehwirtschaft hat noch heute eine große Bedeutung in der Mongolei und hat sich über Jahrtausende zu einer komplexen und multispezialisierten Weise, Tiere zu halten und mit diesen in einem gemeinsamen sozialen Kontext zu leben, entwickelt. Oft wurde und wird die Lebensweise in den Medien sehr überstilisiert dargestellt – Nomaden in traditionellen Gewändern, die in Karawanen mit ihren Herden in der weiten Steppe oder der Wüste Gobi umherziehen. Dies konnte in den letzten Jahrzehnten natürlich auch zu touristischen Zwecken und zur Vermarktung von Produkten genutzt werden, hat aber eigentlich gar nicht so viel mit der Realität zu tun. Der Begriff “Nomaden” und die Romantisierung der Lebensweise mongolischer Viehhirten wurde ethnologisch und anthropologisch vor allem in einer Zeit geprägt, in der Kolonialismus noch salonfähig war und in vielen “westlichen” Forschungszweigen noch das Denken vorherrschte, der Mensch entwickele sich linear und beinahe zwangsläufig vom mobilen Leben zur Sesshaftigkeit und schließlich zur Urbanisierung. Es ging vor allem um eine Abgrenzung von “nomadischen” Gruppen zu sesshaften Zivilisationen. All dies hat meiner Auffassung nach heute keinen Platz mehr in einer ganzheitlichen archäologischen Forschung. Viel interessanter ist doch: wir haben hier eine Region, in der sich über tausende von Jahre hinweg eine ganz besondere Beziehung zwischen Mensch und Nutztieren herausgebildet hat, die im ländlichen Bereich bis heute besteht. Das Zusammenleben von Mensch und Tier auf teils engstem Raum, die in den extremen Klimabedingungen der Mongolischen Wüste Gobi voneinander abhängen, hat sich hier zu einem sozialen Konstrukt entwickelt. Auf dem Land in der östlichen Mongolei, wo unser internationales Team arbeitet, treffen wir jedes Jahr auf Familien, die in Jurten (gers) lebend mit ihren Herden in der Region den Sommer verbringen, 2 – 3 Autostunden von der nächsten kleinen Stadt entfernt. Diese Familien halten seit Generationen die fünf hier gängigsten Weidetierarten (tavan chošuu mal): Schafe, Ziegen, Rinder (inkl. Yaks), welche eine räumlich und soziale sehr enge Beziehung zu Menschen haben sowie Pferde und Kamele, welche meist eher in großen Distanzen zur Familie umherziehen. Die Mobilitäts-Modelle und Einkünfte der Familien sind dabei oft sehr divers, niemand bezeichnet sich hier als “Nomade”. Die Gesellschaft in der Mongolei unterliegt einem steten Wandel und entwickelt sich weiter, wie überall auf der Welt. Die Aufgabe der Archäologie ist dabei in meinen Augen nicht die künstliche Erhaltung traditioneller Lebensweisen, sondern der Schutz ihrer Bedeutung in der Gegenwart durch eine Aufarbeitung und Bewahrung vergangener Realitäten. Die wissenschaftliche Betrachtung der Viehwirtschaft in der Ostmongolei lohnt sich in meinen Augen vor allem, weil sich hier eine ganz eigene Weise entwickelt hat, andere Lebenswesen, Nutztiere, zu respektieren und als Teil der Gesellschaft und nicht als Objekte zu begreifen. Diese Perspektiven sowie den Anteil mongolischer Kulturgeschichte als Teil einer globalen, sehr bunten Palette menschlicher Geschichte, dürfen nicht in Vergessenheit geraten.