Am 1. September 1939 marschiert die Deutsche Wehrmacht in Polen ein, das Land wird besetzt und zerschlagen. Die westlichen und nordwestlichen Regionen gehen an das Deutsche Reich, in den besetzten Gebieten werden Institutionen, Gesellschaften und Vereine auflöst. Eine Ausnahme bilden einige Sportclubs, die unter deutscher Leitung fortbestehen. Thomas Urban beschäftigt sich mit Vereinen in Ostoberschlesien und geht im Interview unter anderem darauf ein, inwiefern der Fußball ein Abbild der Politik ist. Außerdem beantwortet er Fragen nach dem Umgang mit nationaler Zugehörigkeit, schließlich wurde erst im Versailler Vertrag die Teilung Oberschlesiens und die Zugehörigkeit Ostoberschlesiens zu Polen beschlossen.
"Polnische kommissarische Leitungen"
L.I.S.A.: Infolge des Versailler Vertrags wurde nach dem Ersten Weltkrieg die Teilung Oberschlesiens beschlossen, Ostoberschlesien wurde Polen zugesprochen. Wie wirkte sich dieser Anschluss auf die Vereine aus?
Urban: Es entstanden zahlreiche neue polnische Vereine; zum Teil übernahmen sie die Sportanlagen und Vereinsheime von deutschen Clubs, die sich unter politischem Druck aufgelöst hatten. Das Gros der bereits bestehenden Fußballvereine beantragte, weiterhin dem Südostdeutschen Fußballverband innerhalb des DFB anzugehören. Der DFB lehnte dies unter Verweis auf sein Statut ab, nachdem er nur Mitglieder aus dem deutschen Hoheitsgebiet aufnehmen konnte. Die neue polnische Obrigkeit sah die letztlich abgelehnten Anträge an den DFB als feindliche Akte an. Die Vereine sollten durch administrativen Druck (Geldbußen, Enteignungen) zur Auflösung gezwungen werden, was bei der Mehrzahl auch gelang. Ein Teil bekam polnische kommissarische Leitungen, darunter der Verein für Rasenspiele Königshütte, einer der stärksten Clubs der Region. Der VfR musste auch einen polnischen Namen annehmen, er hieß fortan Amatorski Klub Sportowy (AKS). Aus Preußen Kattowitz wurde der 1. FC Katowice.
Im polnischen Fußballverband PZPN setzte sich schließlich ein Kompromiss durch: Die vormals deutschen Vereine, die den wirtschaftlichen und administrativen Druck überlebten, durften in den polnischen Ligen spielen. Doch zieht sich durch die Vereinsgeschichten eine Welle von Klagen wegen offenkundiger und systematischer Benachteiligung durch Schiedsrichter und Verbandsführungen. Der Druck war offenbar politisch gewollt: Der kurzzeitige polnische Premierminister Władysław Sikorski gab 1923 die Parole aus, Ostoberschlesien müsse möglichst rasch „entdeutscht“ werden. Dabei hatten beim Plebiszit über die politische Zukunft der Region zwei Jahre zuvor in Kattowitz 85, in Königshütte 75 Prozent der Wähler für den Verbleib beim Deutschen Reich gestimmt. Der oberste Verwaltungschef der Region war seit 1926 der Wojewode Michał Grażyński, ein polnischer Nationalist, der in den Deutschen einen „Erbfeind“ sah.
Für die Presse der deutschen Volksgruppe in Polen stand fest, dass der 1. FC Kattowitz bei der polnischen Meisterschaft 1927 durch bewusste Fehlentscheidungen der Schiedsrichter um den Titel gebracht wurde. Er wurde nur Vizemeister hinter Wisła Krakau, hinter der nationalpolnische Gruppierungen standen. Die Benachteiligung der deutschen Clubs, die einherging mit allgemeinem starken Druck auf die deutsche Volksgruppe, war allerdings kontraproduktiv: Sie beförderte nationalistische Stimmungen unter den Deutschen, vor allem Sympathien für die NSDAP. 1930 übernahm eine Gruppe junger deutscher Nationalisten den 1. FC, geführt von dem Speditionskaufmann Georg Joschke, der heimlich Kontakte zur NSDAP unterhielt.
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Kommentar
Der Autor formuliert, als ob viele dies wüssten. Mir jedenfalls wäre es neu. Was sind die Quellen?