Robert Gordian ist ein deutscher Schriftsteller und verfasst seit den 1990er Jahren historische Romane und Erzählungen. In seinem aktuellen Buch "Wären sie früher gestorben..." schildert er den Lebensweg von großen Persönlichkeiten - jedoch kontrafaktisch: Alle sterben, bevor sie ihre weltgeschichtliche Rolle spielen können. Wir wollten von Robert Gordian nun wissen, was einen historischen Roman ausmacht. Wie recherchiert ein Autor historischer Romane? Und wie verhält sich dabei wissenschaftliche Geschichtsschreibung zu populärer Geschichtsliteratur?
"Die Hauptaufgabe des Romanschriftstellers"
L.I.S.A.: Herr Gordian, Sie schreiben Historische Romane. Was macht einen guten Historischen Roman aus Ihrer Sicht aus?
Gordian: In einem guten historischen Roman sollte, denke ich, der Autor unterhaltsam, aber auch mit kritischer Distanz das Wesen einer Epoche erfassen und darstellen. Es genügt nicht, irgendeine Alltagsgeschichte zu erfinden, die im alten Ägypten, in Rom oder im deutschem Mittelalter spielt und sie mit aus Sachbüchern und Katalogen zusammengesuchten historischen Bauten, Requisiten und Kostümen zu dekorieren.
Ich will bei der Lektüre Aufklärung darüber erhalten, wie die in einer bestimmten Epoche handelnden bzw. zum Handeln berufenen oder genötigten Personen mit den vorgefundenen Verhältnissen umgingen und sie, wenn sie die Energie und die Macht hatten, nutzten oder änderten. Dabei sollte der Autor auch immer beachten, dass die Darstellung und Beurteilung historischer Handlungen und Personen nur sehr bedingt auf der Basis der Erkenntnisse und Forschungsergebnisse seiner eigenen Zeit wahr und echt wird. Sonst wird es ein Tendenz-Roman wie etwa „Quo vadis“, der zwar seinem Autor seinerzeit den Nobelpreis einbrachte, aber heute in seiner penetranten Einseitigkeit kaum noch lesbar ist. Als positives Beispiel setze ich dagegen „Ich, Claudius, Kaiser und Gott“ von Ranke-Graves.
Sehr wichtig bei der Vorbereitung eines Roman-Projekts ist die gründliche Auswertung und Interpretation der Quellen. Sie geben uns in den meisten Fällen Auskunft über die Vorgänge auf der sog. Königsebene, und so ist dies auch der geeignete und beste Schauplatz für historische Belletristik. Dabei sind die Quellen oft unzulänglich, lückenhaft und ihrerseits schon tendenziös. Hier sehe ich die Hauptaufgabe des Romanschriftstellers. Er kann den Leser nicht mit Fragmenten, Andeutungen und Stichworten abspeisen. Während der Wissenschaftler sich streng an das Vorgefundene halten muss, ist es seine Aufgabe, Charaktere zu schaffen, Menschen „aus Fleisch und Blut“ zu modellieren und die Motive für deren Aktionen glaubhaft darzustellen. Hier sind sein Erfindungsgeist, aber auch sein Respekt vor dem „Fremden“ gefragt.
In meinen eigenen Romanen habe ich versucht, Herrscherpersönlichkeiten der Geschichte lebendig zu machen, indem ich ihre Frauen (die gewöhnlich in den Quellen nur am Rande erscheinen) an ihre Seite oder sogar in den Mittelpunkt rückte. Es entspricht auch meiner Überzeugung, dass starke Frauen (z.B. die Livia des Augustus, Mutter des Tiberius) eine überragende Rolle in der Politik gespielt und die geschichtliche Entwicklung wesentlich mitgeprägt haben. Hier gibt es besonders für die Romanautoren noch viel zu entdecken.