Im Jahr 2015 jährt sich zum 70. Mal das Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Formate und Formen der Erinnerung an Nationalsozialismus, Holocaust und Zweiten Weltkrieg haben sich in den letzten Jahren stark verändert. Dieser Wandel ist wesentlich markiert durch das Sterben der Zeitzeug/innen, dem Übergang vom kommunikativen zum kulturellen Gedächtnis und der damit verbundenen Historisierung der Ereignisgeschichte. Die Zusammensetzung der bundesdeutschen Gesellschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten u.a. durch die Einwanderung stark verändert, und sie wurde sich der ohnehin vorhandenen Heterogenität zunehmend bewusster. Die lange Zeit vorherrschende Selbstwahrnehmung als ethnisch homogenes Kollektiv gehört zu den Problematiken der postnationalsozialistischen Gesellschaften in DDR und BRD, unterschiedliche sexuelle Orientierungen, der Umgang mit sogenannten Behinderungen u.a.m. ausgeblendet. Die Heterogenisierung wirkt(e) sich zwangsläufig auch auf Geschichtsbilder, Geschichts- und Erinnerungskulturen aus, und digitale Medien mit ihren sozialen Netzwerken und Webangeboten erlauben es persönliche Geschichtsbilder einer (breiten) Öffentlichkeit darzustellen. Die entstandene Vielfalt birgt neue Herausforderungen. Fragen nach den Wertigkeiten dieser vielfältigen Geschichtsbilder und Umgangsweisen, nach ihrer Durchlässigkeit für andere Entwürfe, aber auch nach der Notwendigkeit von „Master-Narrativen“ stehen im Raum. Hinzu kommt, dass bestimmte Opfer- und Verfolgtengruppen des NS-Staats erst spät in den Blick von Wissenschaft und erinnerungspolitischen Akteuren rückten. Die unterschiedlichen Akteure der Zivilgesellschaft, die vor allem die westdeutsche Gedenkstättenlandschaft wesentlich geprägt haben, wurden im Zuge der Professionalisierung oft randständig, sind aber für eine lebendige Erinnerungskultur, die nicht in Ritualen versteinern will, unabdingbar.
Die Vervielfältigung der Erinnerungsnarrative führt zwangsläufig zu Narrationssträngen, die sich mit anderen decken („shared memory“), die keine Übereinstimmungen finden („divided memories“), und andere wiederum, die sich widersprechen bzw. Kontroversen erzeugen („conflicting memories“). Über die daraus folgenden Widersprüche und Kontroversen wird allerdings nur wenig diskutiert und oft geschwiegen. Auf der Tagung möchten wir ein transdisziplinäres Fachpublikum dazu einladen, in einen Dialog zu treten, um nach Möglichkeiten des produktiven und reflektierten Umgangs zu suchen und nachvollzuziehen wie Master-Narrative aufgebrochen, bzw. wie Narrationen neu gedacht werden können. Daran anschließend sollen Wege erforscht und erprobt werden, wie sich das Aufbrechen und die Vervielfältigung der Narrative und Erinnerungskulturen auf die Bildungsarbeit auswirken.
Ziel der Tagung ist es für ausgewählte Themenkomplexe – In and out: Inklusion, Erinnerungskultur und digitale Medien, Narrationen in der „Post-Augenzeugenschaft“ – zu neuen Impulsen und Perspektiven anzuregen. Sie sind weniger als fertiges Produkt zu verstehen, denn als gemeinschaftlich entstandene und vielfältig dokumentierte Anregungen, mit denen weitergearbeitet und diskutiert werden kann.
Das Tagungsformat soll den notwendigen gesamtgesellschaftlichen Aushandlungsprozess, der Erinnerungskultur(en) ausmacht, gewissermaßen in einem Mikrokosmos widerspiegeln: Eine transdisziplinäre Fachexpertise der Teilnehmenden, aber auch unterschiedliche Alterskohorten, Berufszweige, Migrationshintergründe sind eingeladen, sich partizipativ am Prozess zu beteiligen. Statt einer Aneinanderreihung von Vorträgen wird Raum geschaffen gezielte Impulse zu den Themenfeldern und für längere Diskussionsphasen mit allen Beteiligten. Kreative Methoden und digitale Medien sind integraler Bestandteil der Tagung. Anhand von Leitfragen und Projektbeispielen finden in großzügig und sorgfältig konzipierten Workshops tiefergehende Diskussionen statt, um zu möglichst konkreten (Zwischen-)Ergebnissen zu kommen. Der gesamte Prozess wird über Beobachter/innen, Kommentator/innen, über eigens geschaffene Kommentarfunktionen und digitale Protokolle sowie graphic recordings und später eine Tagungswebseite transparent dokumentiert.
Ziel dieser Tagung ist es mit neuen Impulsen und Perspektiven herauszugehen, die gemeinschaftlich entstanden sind. Sie sind weniger als fertiges Produkt zu verstehen, denn als vielfältig dokumentierte Anregungen, mit denen weitergearbeitet und diskutiert werden kann. Besonderes Augenmerk soll darauf gelegt werden, eine interdisziplinäre Fachexpertise der Teilnehmenden einzubinden. Das kann nur erreicht, wenn sich alle Teilnehmenden partizipativ am Prozess beteiligen können – dafür werden wir unterschiedliche Formate und digitale Werkzeuge anbieten – und die Teilnehmenden und Referierenden sich in ihren Zugehörigkeiten, Identitäten und Disziplinen unterschiedlich zusammensetzen. Deshalb sollen mit der Tagung möglichst unterschiedliche Zielgruppen angesprochen werden.
Weitere Informationen finden Sie auf unserem Tagungsblog http://erinnern.hypotheses.org
Dort finden Sie auch ein Anmeldeformular.