Religiös motivierte beziehungsweise religiös begründete Kriege stützen sich in der Regel auf ein manichäisches Weltbild: das Gute zieht gegen das Böse zu Felde. Was vielleicht spontan wie Mittelalter anmutet, ist tatsächlich jüngste Zeitgeschichte und reicht bis in die Gegenwart hinein. Dabei ist es nicht allein der radikale Islam, der im ausgerufenen Dschihad gute Gläubige gegen böse Ungläubige kämpfen lässt. Auch der säkulare Westen greift auf die religiöse Symbolkraft von Gut und Böse sowie auf einen vermeintlichen Dualismus von Christentum und Islam zurück, etwa als der US-Präsident George W. Bush eine "Achse des Bösen" definierte oder Kriegsabsichten als Kreuzzüge bezeichnete. Der Mediävist Prof. Dr. Philippe Buc von der Universität Wien hat sich mit der theologisch motivierte Legitimation von Terror und Krieg beschäftigt und darüber ein Buch geschrieben. Wir haben ihm unsere Fragen gestellt.
"Eine Art Wiederkehr viel älterer christlicher Vorstellungen"
L.I.S.A.: Herr Professor Buc, Sie haben ein Buch mit dem Titel „Heiliger Krieg. Gewalt im Namen des Christentums“ vorgelegt. Mit Blick auf die Gegenwart überrascht der Titel und provoziert vielleicht sogar ein wenig, denn mit „Heiliger Krieg“ und religiös motivierter Gewalt verbinden wir heute in erster Linie den Islam und weniger das Christentum. Was hat Sie dazu bewogen, den Spieß gewissermaßen umzudrehen und das Buch zu schreiben?
Prof. Buc: Es handelt sich ursprünglich um ein amerikanisches Buch, recherchiert an der Westküste der Vereinigten Staaten, während ich in Stanford lehrte. Seine Konzeption reicht zurück ins Jahr 2001, nach den Ereignissen des 11. September. Ich bemerkte damals, dass die Äußerungen von Präsident George W. Bush, der schon im Herbst dieses Jahres hartnäckig auf einen Krieg gegen Saddam Hussein abzielte, teilweise bestimmten Charakterzügen des mittelalterlichen Vokabulars des heiligem Krieges ähnelten. In diesem Sinne sah ich bei Bush eine Art Wiederkehr viel älterer christlicher Vorstellungen und Werte. Die öffentliche Meinung des Abendlandes war nicht immer, dass das Christentum eine Religion des Friedens sei. Voltaire (den ich S. 76 zitiere), wunderte sich, dass die Religion des schwertragenden Propheten Mohammed „barmherzig und tolerant“ wurde; im Gegensatz zum Glauben des Friedensfürsten Christus, der korrumpiert worden, und „zur unduldsamsten und barbarischsten von allen“ Religionen geworden sei. Voltaire als Polemiker der Aufklärung erwartete Zustimmung vonseiten seiner eigenen Öffentlichkeit, wenn er schrieb, das Christentum sei eher gewalttätiger als der Islam. Als Nicht-Spezialist wollte ich einen Vergleich mit dem Islam vermeiden; nach viel Lektüre und einigen Seminaren sehe ich jedoch inzwischen genau, wie ein solcher Vergleich machbar sein könnte. Aber die Idee des Buches wurde geboren aus den Worten des amerikanischen Präsidenten, der von Freiheit, vom Schicksal der Welt, vom Bösen, vom Krieg im Dienst des Frieden sprach. Diese Begriffe sind zu Hause im Europa des Mittelalters.
Nebenbei bemerkt, den Untertitel („Gewalt im Namen des Christentums“) hat der Verlag gewählt. Meine Fragestellung ist nicht, ob das Christentum Gewalt verursacht, sondern eher, wie das Christentum die Formen der Gewalt prägt.