Prof. Dr. Nina Degele, Institut für Soziologie
Albert-Ludwigs Universität Freiburg im Breisgau
„Ich mach’ mich nicht für andere schön, sondern für mich. Und ich muss mir gefallen, und nicht den anderen. Das finde ich ganz wichtig.“ Eine typische Antwort. Sie stammt aus einer von 31 Gruppen mit insgesamt 160 DiskutantInnen unterschiedlichen Alters, Geschlechts, sozialer Herkunft und sexueller Orientierung, die sich zur Frage „Was bedeutet es für Euch/Sie, sich schön zu machen?“ im Rahmen einer sozialwissenschaftlichen Studie, jeweils ein bis zwei Stunden lang abgearbeitet haben (Degele 2004): Schön machen sich Menschen für sich selbst, nicht für andere. Zumindest soll es so erscheinen. Die Frauenzeitschrift Brigitte – und die muss es ja wissen – fand bei einer Umfrage aus dem Jahr 2001 heraus, dass sich 94 Prozent der 28.000 befragten Frauen für sich selbst schön machen, weil sie sich damit wohler und selbstsicherer fühlen (1978 waren es bei 27.000 Befragten 79 Prozent). Nur drei Prozent wollten anderen gefallen (1978 waren es 14 Prozent). Glaubwürdig sind diese Zahlen nicht. Denn die Äußerungen teilen vor allem etwas darüber mit, was die Befragten für eine sozial erwünschte Antwort halten. Kein Wunder. Denn das Eingeständnis, sich für andere schön zu machen, käme für viele einer Bankrotterklärung gleich und wird geflissentlich unterlassen. Schon gleich gar nicht lässt sich aus der Brigitte-Statistik ein gewachsenes Selbstbewusstein von Frauen ableiten, das sich von der Meinung anderer unabhängig gemacht habe. Verlässt man sich auf das, was die Befragten behaupten, läuft man Gefahr, puren Ideologiekonstruktionen auf den Leim zu gehen. Da hilft es auch nicht viel, wenn die Antworten geradezu pseudowissenschaftlich bis zwei Stellen hinter dem Komma ausgerechnet und ausgewertet werden.
Sind wir also über herrschende Schönheitsnormen erhaben? Zumindest wollen wir das andere glauben machen. Und noch etwas glauben wir: dass sich vor allem Frauen schön machen – trotz einiger trendig aufgemachter Magazine für lifestyle-orientierte Männer mit natürlich aussehender Solariumsbräune und Waschbrettbauch. Zu guter Letzt sind wir davon überzeugt, der ganze Zauber um Schönheit mache auch noch Spaß – Schönheit ist machbar und etwas Schönes tun ist schließlich eine lustvolle Angelegenheit. Tatsächlich ist es ganz anders: Sich schön machen ist keine Privatangelegenheit. Sich schön machen ist auch keine Frauensache. Und mit juxiger Oberflächlichkeit hat das alles auch nicht viel zu tun: Sich schön machen ist mitunter harte, erfolgsorientierte Arbeit, die in tiefe Identitätsschichten reicht. Viel versenkter, als es oberflächliche Debatten zu den Fürs und Widers des Schminkens, Frisierens, Anziehens, Rasierens, Piercens oder auch Operierens ahnen lassen.
Beim Sich schön machen geht es nicht um Schönheit „an sich“ und schon gleich gar nicht um die Frage, was und wer schön (oder hässlich) sei, sondern um pures „Schönheitshandeln“: einem Medium der Kommunikation, das der Inszenierung der eigenen Außenwirkung zum Zweck der Erlangung von Aufmerksamkeit und Sicherung der eigenen Identität dient. Schönheitshandeln bedeutet, sich sozial zu positionieren. Im Gegensatz dazu bezieht sich der normativ verwendete Begriff Schönheit auf massenmedial produzierte und im Alltag gewichtige Auffassungen von dem, was Schönheit als Norm im medial-öffentlichen Diskurs in Abgrenzung zum Nicht-Schönen oder Hässlichen ist oder sein soll. Beim „Schönheitshandeln“ dagegen interessiert nicht das ästhetische Urteil der RezipientInnen, sondern die gelingende oder misslingende Anerkennung, also der Erfolg. Schockiert die Punkfrau mit gelbem Irokesenlook, abgewetzter Lederjacke, Nasenring und sicherheitsbenadelten Jeansfetzen spießige Normalos auf der Straße, hat sie ihr Ziel erreicht: Sie weiß, zu wem sie gehört und von wem sie sich abzugrenzen hat. Schönheitshandeln ist ein sozialer Prozess, in dem Menschen versuchen, soziale (Anerkennungs-)Effekte zu erzielen. Dabei stehen Werte wie Individualität, Autonomie und Authentizität im Vordergrund. Das lässt sich durchaus als ein Erbe der Aufklärung interpretieren. Denn die Auffassung, dass es überhaupt so etwas wie eigenständige Individuen, dass es etwas „Unteilbares“, nämlich Individualität gebe, ist eine moderne Erfindung. Sie wurzelt in einem Kernglauben der Aufklärung, der Mensch sei für sein eigenes Leben selbst verantwortlich, er könne es selbst machen, in die eigenen Hände nehmen und gestalten. Diese Verlagerung von Verantwortung weg von Gott und Schicksal hin zum Individuum betraf auch Seele und Körper, Befindlichkeit und den Eindruck, den man aufgrund seines/ihres Äußeren vermittelt. Sich schön machen ist damit auch eine Strategie gesellschaftlicher Macht und auch sozialen Erfolgs – zumindest ein Versuch. Einige Komponenten eines solchen Schönheitshandelns möchte ich im Folgenden vorstellen.