Hier in der bosnischen Haupstadt leistete man letzten Donnerstag dem Hauptprotest unüblichen Vorschub mit einem kleinen Flashmob gegen den interethnischen, nationalistischen Hass, der hier als Stichwortgeber für kurze Überlegungen genommen wird. Die bekannten Demonstrationen vereinen hier in der Hauptstadt jedes Mal Hunderte von Menschen aus unterschiedlichsten (Hinter)Gründen unter dem Banner einer Gegenpolitik, und finden sei Ende Januar fast jeden Tag an Straßenkreuzung statt, die die Namen Ali Paschas und Marschall Titos tragen - zweier entgegengesetzten Persöhnlichkeiten, welche die kulturideologische Vermischung des heutigen Bosniens gut wiedergeben.
Proteste und Sprachnebel Bosniens
Ein Bericht aus Sarajevo, Föderation Bosnien und Herzegowina
Dieser kleine Flashmob wird hingegen von knapp zehn Studenten des pazifistischen Vereins UDIK abgehalten, die eines gut zu wissen scheinen. Ihre Botschaft ist einfach: “Nationalismus tötet” (jug. Nacionalizam ubija). Diesen Satz liest man in den drei Amtssprachen Bosniens Serbisch, Kroatisch und Bosnisch auf ihrem Plakat anlässlich des Erinnerungstages des noch unbestraften Štrpci-Massaker (27. Februar 1993). Dies ist eine kluge Anspielung auf die Warnsprüche auf Zigarettenpackungen wie “Rauchen tötet” (jug. pušenje ubija), die vor allem den vielen Rauchern, deren Zahl in Bosnien auffällig ist, und den an der katholischen Kathedrale Vorübergehenden nicht entgangen ist. Man hat sich kurz aufgehalten, fotografiert, nach der Meinung der Manifestanten gefragt.
Auf allen "Zigarettenpackungen-Flashmobs" vor der Kathedrale Sarajevos/Bosniens kann man nämlich unabhängig von der Marke immer einen vollkommen gleichen Satz in drei Sprachen und zwei Schriften lesen; völlig überflüssig, denn dieser Satz – wie übrigens 99,99% aller Sätze – auf Serbisch unterscheidet sich von denen auf Bosnisch und Kroatisch nur durch die Schrift, die letzten beiden aber nicht einmal dadurch. Diese Sonderbarkeit wird immer von Einheimischen den auswärtigen Beobachtern als witziges Beispiel für die postjugoslawische politische Sprachverwirrung dargebracht: der Name “Serbokroatisch” sei ja bereits ein Kompromiss zwischen zwei Volksgruppen gewesen, die heute jeweils ihren eigenen Staat besitzen, und die Sprachen seien ja gleich, doch die unter anderem in Sarajewo gesprochene Variante müsse man heute Bosnisch nennen. Man muss. Das hindert ab und zu meistens entweder sehr alte oder sehr junge Menschen nicht daran, sich der Benennungen jugoslavenski (“jugoslawisch”), naš jezik (“unsere Sprache”) oder einfach naš (etwa “unsrig”) zu bedienen. Das gleiche Phänomen beobachtet man z.B. in den österreichischen Auswanderungsgemeinschaften in Wien und Graz, wo die interethnische Solidarität stärker ist, obwohl es jenseits der Grenze amtlich seit drei Jahrzehnten kein Serbokroatisch und kein Jugoslawien mehr gibt.
Bosnien selbst bildet bekanntlich ein sehr kompliziertes “Jugoslawien im Kleinen” und in den dortigen Volkszählungen werden Leute, die sich immer noch, oder wieder, als Jugoslawen angeben, als “Andere” erfasst, was sie als eines der größten heimatlosen Völker Europas einstuft. Nationalismus tötet, betonen die Plakate, doch es ist so schwer, in diesem Land die eine oder die andere Form des Nationalismus, sei es sprachlich, politisch oder religiös, nicht einzunehmen, denn die Strafe dafür ist Verschweigung und Vergessenheit. Wie sich diese Leute und ihre Sprache nennen sollen, wird man wahrscheinlich nie entscheiden, und es ist letztendlich nicht Aufgabe fremder Medien, das zu bestimmten, sondern vielmehr zu berichten, wie viele Menschen hier und heutzutage beginnen, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit unantastbaren National- und Sprachtrennungen zu relativieren oder sogar für müßig und schädlich zu halten: diese verkrampfte politische Korrektheit, dieser Sprachnebel, der den gesunden Menschenverstand umhüllt, wurde kürzlich anlässlich der Demonstrationen in Tuzla durch ähnliche Plakate wie "Jebem vam mater na tri jezika" (nicht wörtlich – es ist besser – “ich scheiß auf euch in drei Sprachen”) veralbert und den Politikern vorgeworfen, die nunmehr zwanzig Jahren nach dem Zerfall Jugoslawiens immer noch versuchen würden, das einfache Volk durch sprach- und religionsnationales Gerede aufzuhetzen.
Sind die Politiker bloß ein Sündenbock der allgemeinen Unzufriedenheit oder tragen sie wirklich die Schuld für die im Land herrschende Korruption? Zum heutigen Zeitpunkt ist kaum jemand von denen abgetreten und der sogennante “bosnische Frühling” hat Teil seines Aufschwunges verloren, nicht aber ohne viele verletzte Polizisten und verwüstete Verwaltungsgebäude gekostet zu haben - vor allem in Tuzla und Mostar. Auf den Straßen und Plätzen der bosnischen Proteste spielt sich in der Tat eine Art Gruppentherapie ab, um den Selbsthass zu überwinden und sich der Lösung dringenderer, alltäglicher Lebensfragen zu widmen.