Die Deutsche Turnerschaft organisierte bereits seit 1860 im Fünfjahresrhythmus das Deutsche Turnfest. Jenseits der vordergründigen sportlichen Funktion als Veranstaltung von Turnern und für Turner, waren diese Feste vor allem nationalpolitisch aufgeladen. Sie standen für nationale Einheit und Freiheit, Gemeinschaftssinn und körperlicher Wehrertüchtigung. Insofern lag es für die Nationalsozialisten ideologisch nah, noch lange vor der Machtergreifung 1933 die Nähe zur Deutschen Turnerschaft zu suchen. Die Historikerin und Sozial- und Kulturathropololgin Helena Gand vom Stadtmuseum Stuttgart hat die Turnerschaft untersucht und dabei vor allem das erste Turnfest unter nationalsozialistischer Herrschaft in den Blick genommen. Ihre Ergebnisse hat sie im Sammelband "Sport und Nationalsozialismus" veröffentlicht. Wir haben ihr dazu unsere Fragen gestellt.
"Deutsche Turnerschaft ordnete sich 1933 freiwillig und geschlossen unter"
L.I.S.A.: Frau Gand, Sie haben im Band „Sport und Nationalsozialismus“, herausgegeben von Prof. Dr. Frank Becker und Dr. Ralf Schäfer, eine Spezialstudie über das Deutsche Turnfest von 1933 publiziert. Bevor wir zu Einzelheiten kommen, was ist die leitende Fragestellung bzw. die zentrale These Ihrer Studie?
Gand: Mein Anliegen war es, das Deutsche Turnfest von 1933, das in der Forschung meist als das erste „nationalsozialistische Massensportereignis“ beschrieben wird, neu zu beleuchten und zu hinterfragen, inwiefern es innerhalb kürzester Zeit zu dieser Entwicklung kommen konnte. Das Deutsche Turnfest war seit seinen Anfängen 1860 ein Symbol der nationalen Bewegung, und damit ein eminent politisch ausgerichtetes Volksfest. Doch lagen der national-konservativen Deutschen Turnerschaft parteipolitische Bestrebungen bis zum vorherigen Turnfest 1928 in Köln – zumindest offiziell – fern. Ich wollte untersuchen, wie es zu der Kooperation der Deutschen Turnerschaft mit der neuen politischen Führung kommen konnte, der sie sich 1933 freiwillig und geschlossen unterordnete und worin sich die nationalsozialistische Prägung des Turnfests zeigte.