L.I.S.A.: Welche Rolle spielte der pakistanische Geheimdienst ISI bei der Operation?
Dr. Gugler: Entgegen ersten Äußerungen Barack Obamas über eine amerikanisch-pakistanische Zusammenarbeit am Sonntag Abend verfestigen sich nun die Hinweise, dass pakistanische Behörden in die Operation nicht eingeweiht waren. In jedem Fall aber steht fest, dass der ISI sehr wohl über den Aufenthaltsort Osama bin Ladins informiert war, auch wenn man nun versucht zwischen „Einzelwissern“ und „institutionellen Erkenntnissen“ zu unterscheiden. Zahlreiche Analysten kritiseren seit Jahren, dass die Amerikaner den ISI zur Kooperation erwählten – jetzt sind die Amerikaner gezwungen sich nochmal ausführlich mit den unterschiedlichen Interessen ihres Kooperationspartners auseinanderzusetzen. Shuja Pasha, der Direktor des ISI, ist momentan in Washington, wo ihm offenbar gründlich der Kopf gewaschen wird – erste Meldungen seines Rücktritts wurden aber bereits dementiert.
L.I.S.A.: Wie wird sich die Operation, von der die pakistanische Regierung ebenso überrascht gewesen sein soll wie der Rest der Welt, auf das Verhältnis Pakistan-USA auswirken?
Dr. Gugler: Das ist eine hochkomplexe Thematik, die sich momentan auf Messers Schneide bewegt. Die amerikanischen Stimmen, die ein weniger vertrauensvolles Verhältnis insbesondere zum ISI kritisieren, werden immer lauter – ebenso die pakistanischen Stimmen, die nun nach der gelungenen Operation auf ein Verschwinden der Amerikaner in der Region und ein Stopp der Drohnenangriffe beharren. Der amerikanische Versuch den ISI dem pakistanischen Innenministerium zu unterstellen ist aber gescheitert – ebenso scheinen sich die Gerüchte um einen Rücktritt der ISI-Direktors Shuja Pasha als verfrüht herauszustellen: Das Militär fordert als Reaktion des politischen Drucks gegen das Militär und den Geheimdienst ISI gegenwärtig, dass in der Politik die Köpfe rollen um das Osama-Versagen Pakistans zu büßen. Bislang aber hat sich kein Sündenbock herauskristallisiert.
Amerika und Pakistan sind strategisch stark aufeinander angewiesen. Die politische Elite Pakistans ist in maximaler Weise abhängig von amerikanischen Geldern – Washington überweist Islamabad derzeit jährlich drei Milliarden Dollar an Wirtschaftshilfe und an das Militär. Pakistan brach im Januar 2011 mit dem Stabilisierungsprogramm des Internationalen Währungsfond, da es die vereinbarten Wirtschafts- und Steuerreformen nicht umsetzen mochte. Bei einem Wirtschaftswachstum von 2 % und einer Inflation von über 16 % kann man die Situation der Staatsfinanzen ohne Übertreibung dramatisch nennen. Pakistans Präsident Asif Ali Zardari bat direkt nach der Ermordung Osamas in fast schon verzweifelter Weise in einer Kolumne in der Washington Post um eine Erneuerung und Intensivierung der amerikanisch-pakistanischen Freundschaft um weiterhin bestenfalls noch mehr finanzielle Förderung gegen Terrorbekämfung einzutauschen.
Die USA wiederum sind nicht nur bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus, sondern auch in ihrer Afghanistanpolitik auf die Unterstützung Pakistans angewiesen, nicht zuletzt weil mehr als die Hälfte der Pathanen in Pakistan leben. Obwohl die Freundschaft beiden Ländern nicht so recht schmeckt, ist diese Freundschaft in letzter Konsequenz für beide Parteien alternativlos. Das Überleben Pakistans ist aber nicht nur im westlichen, sondern auch im chinesischen Interesse. Entscheidend ist jetzt, dass sich zwischen den USA und China kein Konkurrenzkampf um die Kontrolle in Pakistan entfaltet.
L.I.S.A.: Wie wird die Meldung vom Tod bin Ladens in Pakistan aufgenommen?
Dr. Gugler: Vor allem mit Humor! In Pakistan zirkulieren SMS wie „Was für ein Land! Nicht mal Osama bin Ladin ist hier sicher“ Oder „Nicht hupen: Armee schläft!“, „Öffentllichkeitsdienst der Armee: Bleiben Sie wachsam! Verlassen Sie sich nicht auf uns“, „Radaranlagen des pakistanischen Militärs günstig abzugeben: Erkennen keine US-Hubschrauber aber empfangen den Sportkanal.“ uvm.
Die vereinzelten Aktionen, die Osama bin Ladin als Held feiern sollten, waren bislang bescheiden besucht. Die Demonstration der Lashkar-e Taiba in Karatschi wurde von Polizeikräften sogar diskret beendet. Da weniger als ein Viertel der pakistanischen Bevölkerung glaubt, dass Osama bin Ladin etwas mit dem 11. September 2001 zu tun hat, ist die „muslimische Straße“ Pakistans weder pro noch contra Osama bin Ladin, dafür umso entschiedener anti-amerikanisch. In einem Satz: „Obama hat Osama– jetzt haut endlich ab!“ bzw. „Warum nervt Amerika denn noch?“. Pakistan hat als wichtigster Nicht-NATO-Bündispartner im Kampf gegen den Terror sehr große Opfer gebracht.
Wir erinnern uns: Die Jagd auf Osama bin Ladin dauerte zehn Jahre, verursachte zwei Kriege, knapp eine Million Menschen ließen ihr Leben und der Krieg gegen den Terror kostete die USA etwa 1,2 Billionen Dollar. Die Menschen in Pakistan erwarten, dass dieser Terrorkrieg inklusive der Drohnenangriffe der Amerikaner auf pakistanischem Territorium jetzt aufhört.
L.I.S.A.: Was bedeutet der Tod bin Ladens für al-Qaida? Wird das Netzwerk dadurch geschwächt oder möglicherweise um einen Märtyrer reicher? Ist die Terrorgefahr nun kleiner oder eher größer geworden?
Dr. Gugler: Osama bin Ladin war bereits vor einigen Jahren schon zu einer nur symbolischen Figur geschrumpft. Obwohl der Tod Osama bin Ladins keinen erwähnenswerten personellen, finanziellen oder organisatorischen Verlust für die diversen al-Qaida-Netzwerke bedeutet, ist er doch eine entscheidende psychologische Niederlage. Vielen Unentschiedenen wird es nun sehr viel leichter fallen mit einer früheren biografischen Phase der Faszination für abenteuerliche Weltverbesserungsmissionen abzuschließen.
Man kann al-Qaida also durchaus als ein langsam aussterbendes Phänomen betrachten. Die Ermordung Osama bin Ladins spielt unmittelbar daher keine Rolle für die Terrorgefahr – bereits im Stadium der Planung befindliche Anschläge werden nun möglicherweise anders gerechtfertigt: Kurzfristig bleibt die Terrorgefahr unverändert; langfristig wird die Terrorgefahr durch al-Qaida definitv drastisch abnehmen.
Gleichzeitig bleiben eine ganze Reihe von terroristischen Bewegungen, die gar nicht bzw. nur im weiteren Sinne mit den al-Qaida-Netzwerken zu assoziieren sind wie beispielsweise die Lashkar-e Taiba, die nun im post-bin-Ladin-Zeitalter zu einer der weltweit gefährlichsten Terrororganisationen gezählt werden muss.
Dr. Thomas K. Gugler hat die Fragen der L.I.S.A.Redaktion schriftlich beantwortet.
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b.s.