Der tschechische Historiker Prof. Dr. Miroslav Hroch gehört zu den bekanntesten Vertretern der internationalen Nationalismusforschung. Er ist einer der ersten, der Nationalbewegungen in Ost- und Westeuropa vergleichend analysierte hat. Dank seiner Deutschkenntnisse machte er sich bereits in den 1960er Jahren in deutschen Fachkreisen einen Namen. Zu seinen längsten Weggefährten gehörte der Kölner Historiker und Nationsforscher Otto Dann, der im Herbst dieses Jahres gestorben ist. Wir haben Professor Hroch um ein Gespräch über seine Erinnerungen an Otto Dann gebeten.
"Fast jedes Jahr einen regen Gedankenaustausch"
L.I.S.A.: Herr Prof. Hroch, Sie gehören zu den langen Weggefährten des im Herbst verstorbenen Historikers Otto Dann. Wie erinnern Sie sich an ihn?
Prof. Hroch: Die erste Begegnung liegt weit zurück, es war in Köln, im Februar 1969, während einer der Tagungen, welche Professor Theodor Schieder zum Thema Nationalbewegungen organisiert hatte. Damals war mein Buch zur sozialen Struktur der nationalen Bewegungen frisch erschienen und man hat mich eingeladen, für diese Tagung ein Referat zu halten. Otto war dabei, wie übrigens alle damaligen Mitglieder der Schiederschen Gruppe, und ich habe mit ihm hier und da gesprochen, wie es so bei Tagungen üblich ist. Natürlich erinnerte er sich an mich besser als ich mich an ihn: er war ja einer der vielen mir bisher unbekannten Deutschen und ich war der einzige Tscheche.
Während der nachfolgenden Zeit war es nicht einfach, nach Deutschland zu reisen und wir begegneten uns wirklich persönlich eigentlich erst im Jahre 1985 als Teilnehmer des Historikerkongresses in Stuttgart. Da führten wir schon einen regen Gedankenaustausch, der später seit Ende der achtziger Jahren schon fast jedes Jahr fortgesetzt werden konnte. Mal während weiterer Tagungen, mal anlässlich eines Vortrags an der Uni Köln, zu dem er mich eingeladen hatte, mal an der Europäischen Universität in Florenz, wo ich zeitweise lehrte.
Ganz intensiv wurden unsere Begegnungen, als wir seit 1997 gemeinsam ein Projekt der Volkswagenstiftung leiteten, in dem die Identitätskrise am Ende des alten Reiches in seinen Rand- und Nachbarländern komparativ untersucht werden sollte. Neben persönlichen Begegnungen gab es einige Symposien des gesamten deutsch-tschechischen Teams. Es waren gelungene, kleine Workshops. Leider sind die Protokolle mittlerweile verschollen. Als Resultat dieses Projekts wurde ein ziemlich umfangreicher Sammelband - „Patriotismus und Nationsbildung am Ende des Heiligen Römischen Reiches“ - 2003 publiziert. Schon früher habe ich ein Buch über die Anfänge der tschechischen Nationalbewegung publiziert, zu dem mich die Teilnahme am Projekt inspiriert hatte.
Während des letzten Jahrzehnts ließen unsere akademischen Kontakte nach und blieben eher auf privater Basis. Das letzte Mal trafen wir uns in Prag vor zwei Jahren und mein Besuch in Köln war für Mai des Jahres 2014 geplant, ich habe ihn jedoch wegen Bewegungsschwierigkeiten abgesagt und auf spätere Zeit verschoben. Wenn ich gewusst hätte...
Ironie des Schicksals: in der letzten E-Mail, die ich von ihm erhalten habe, fragte er, ob ich schon von Wehlers Tod gehört hätte, und wie ich ihn und vor allem seine Ansichten aus den letzten Jahren beurteilen würde.