Erstmals war dem nun zum 35. Mal tagenden Deutschen Kunsthistorikertag eine weitere Tagung vorgelagert worden: Das sogenannte #arthistoCamp. Organisiert wurde sie auf Initiative des Arbeitskreises Digitale Kunstgeschichte gemeinsam mit dem Institut für Digital Humanities der Georg-August-Universität Göttingen (Leitung Prof. Dr. Holger Simon und Prof. Dr. Martin Langner). In Bezugnahme zum Motto der Hauptkonferenz fokussierte das Camp folgerichtig die “Digitale Forschung zu den Dingen”.
Die Vortagung zeichnete sich durch zwei Besonderheiten aus, die sich gerade in ihrer Kombination als fruchtbar erwiesen. So verwies der Kunsthistorikertag in seinem Aufruf „Zu den Dingen!“ auf ein zentrales Merkmal, das alle Wissenschaften materieller Güter betrifft: Kunst- und Kulturgüter sind Material-gebunden, sie sind Dinge. Das unterscheide sie, so die Organisatoren, grundsätzlich von den Literatur- und Sprachwissenschaften oder der Musik (A.H.), da der Text vom Material trennbar und durch seine diskreten Werte (Alphabet) oder als abstrakte Notation (A.H.) gewissermaßen bereits digital sei.[i] Text- und Tonwerke sind daher unmittelbar einer vom Objekt isolierten Betrachtung zugänglich.
Folglich stellen sich an die digitale Transformation von in dieser Art untrennbar verschmolzenen Dingen besondere Fragen: Wie können materielle Kulturgüter digital abgebildet und gespeichert werden? Welche Verschiebungen impliziert das? Welche Instrumente, Techniken und Formate werden benötigt? Welche Anforderungen ergeben sich durch die Dinghaftigkeit der Forschungsgegenstände an deren Zugänglichmachung? Mit welchen digitalen Methoden lassen neue Erkenntnisse zu unseren Forschungsfragen gewinnen?[ii]
Die zweite Besonderheit lag in der Struktur als “BarCamp”, auch “Open Space” genannt, das sich vor allem an Kunsthistoriker, Archäologen und Informatiker richtete. Im Gegensatz zu einer vom Veranstalter geplanten Tagung, tragen die Teilnehmer eines “Open Space” ihre individuellen Themen in einer Eröffnungsrunde vor. Aus der Sammlung der Vorschläge finden sich Interessensgruppen für bestimmte Themata zusammen, die als Cluster gruppiert dann eine Session bilden. Die Konferenz formiert sich also erst vor Ort, wobei die erarbeitete Tagungsordnung innerhalb des übergeordneten Großthemas fluide bleibt und verändert werden kann. Doch befördert das neue Format als sogenannte „Unkonferenz“ allein aufgrund der strukturellen Veränderung neue Lösungsansätze? Neuer Rahmen = neues Denken?
Die Befürchtung, dass sich allein schon durch die adressierte Zielgruppe von Spezialisten im Bereich der digitalen Geisteswissenschaften die Themenwahl auf hauptsächlich technische Fragen einschränken könnte, erwies sich als unbegründet. Zwar gab es Gruppen, die sich dezidierter den Möglichkeiten bestimmter Programmierlösungen zuwandten (beispielsweise einer Diskussionsrunde zu SPARQL-Endpoint), summarisch ergab sich aber ein recht breit gestreutes Themenfeld, in dem sich die Cluster Imaging und Bildauswertung, Inferenzen und Ontologien, Datenbanken und Such-/Findsysteme, 3-D und 4-D-Visualisierungen, Großprojekte / Förderprogramme (z.B. “Time Machine”) herauskristallisierten.
Ebenso wenig realisierte sich der im Vorfeld geäußerte Vorbehalt, eine nicht vorevaluierte Tagung könne gerade im Feld der “digital humanities” zu einer unproduktiven Aneinanderreihung reiner Projektpräsentationen verkommen, die sich darin erschöpfe, dass sich die Teilnehmer lediglich gegenseitig vorführten, woran sie gerade arbeiten. Stattdessen entwickelte sich schnell eine kolloquiumsartige Workshop-Atmosphäre, in die nicht wenige Teilnehmer sehr konkrete Fragestellungen hineintrugen, an denen die eingangs skizzierten, übergeordneten Fragen kondensierten. Als besonders schönes Beispiel dafür möchte ich die Vorstellung von Martin de la Iglesia und Julia Rössel, beide WissenschaftlerInnen an der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, nennen. Anhand prägnanter online verfügbarer Datensätze von Druckgraphiken, die über das Datenbanken vernetzende Graphikportal aufgerufen werden können und anhand von Beispielen aus der Wolfenbütteler Portraitstichsammlung veranschaulichten sie Inkonsistenzen der die Objekte beschreibenden Normdatensätze, die sammlungsübergreifende Suchen erschweren oder verunmöglichen. So können Normdaten zu eng gefasst sein. Trotz Normierung verhindern dann minimale Abweichungen, beispielsweise die Verwendung von Punkt oder Komma zur Worttrennung, die maschinelle Auswertung und beschränken die Potenz des Such-Find-Systems. Andersherum können Normdaten mit gezielt eingebrachten Unschärfen die Suchergebnisse verwässern oder verunmöglichen. Gibt es ein Optimum dazwischen? Auch stellte sich die Frage, ob, in welchem Umfang und welcher Form Text in Bildern (Bezeichnungen, Schriftbänder, Beischriften, Kartuschen etc.) teilweise oder vollständig transkribiert Teil der einer online-Suche zugänglichen Datensätze sein sollten. In der Gruppe konnte der Kern der Problematik herausgearbeitet und konstruktiv über Lösungsansätze nachgedacht werden. Andere Formate hatten stärker informativen Charakter und berichteten den Wissenschaftlern über anlaufende Großprojekte und die Kunsthistorik berührenden Anknüpfungen wie die “Time Machine”, vorgestellt vom wissenschaftlichen Koordinator für Deutschland, Prof. Dr. Peter Bell.
Resümierend lässt sich das #arthistocamp als ein produktives kolloquiales Forum von Wissenschaftlern in Projekten der digitalen Geschichtsforschung beschreiben, das zwar keine unmittelbaren konkreten Problemlösungen oder gar neue Standards lieferte, aber Forscher mit ähnlich gelagerten Fragen zusammenführte und so, über den intensivierten, projekt-übergreifenden Austausch einen Effekt zeitigen wird. Die Frage, die sich damit aber stellt, ist, ob ein solches Format nicht stärker auch Teil der Hauptkonferenz sein könnte oder gar müsste. Eine Fortführung wäre meines Erachtens auf jeden Fall wünschenswert.
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[i] [Online] https://kunsthistorikertag.de/arthistocamp/ [abgerufen am 29.03.2019]
[ii] Ebd.
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