Im Grundsatz strebt UNHCR mit dem GCR an, das Engagement und die Verpflichtungen der Staaten zu erhöhen, um das internationale System des Flüchtlingsschutzes zu verbessern. Diese Absicht ist vor dem Hintergrund der Entwicklungen der vergangenen Jahre überaus wichtig, denn Geflüchtete sind mit immer längeren Zeiten im Exil, häufig in Flüchtlingslagern, konfrontiert und humanitäre Organisationen können aufgrund unzureichender Finanzierungen selten die Hilfe bereitstellen, die lokal benötigt wird. Um das Engagement zu stärken, führte UNHCR von Februar bis Juni 2018 Konsultationen bzw. Beratungsrunden zum GCR in Genf mit diversen Repräsentant*innen durch.
Mangel der fehlenden Verbindlichkeit?
Entgegen des Ziels fehlen im Flüchtlingspakt jedoch konkrete Verpflichtungen von und für Staaten. Zudem ist der GCR rechtlich nicht bindend und stellt nur eine Absichtserklärung dar (dies gilt im Übrigen auch für den Migrationspakt und wird aktuell zu seiner Verteidigung genutzt.) In Zeiten, in denen viele Staaten weltweit immer restriktivere Asylpolitiken verfolgen und sich eher auf ‚Grenzschutz‘ als auf Flüchtlingsschutz konzentrieren, wäre ein verbindliches Übereinkommen sicher hilfreich, um der Abwärtsspirale entgegenzuwirken. Allerdings kann der GCR auch als globale Absichtserklärung Wirkungskraft entfalten. Der Pakt hält am Bekenntnis zum Flüchtlingsschutz fest, welches gerade in Zeiten zunehmender Abschottung Bedeutung hat. Auf dieser Grundlage können Staaten sowie andere Akteure gemeinsam an der Stärkung des internationalen Flüchtlingsschutzes arbeiten. Darüber hinaus soll dieser globale Pakt weltweit greifen, wobei konkrete Maßnahmen und Verpflichtungen aufgrund der sehr unterschiedlichen Situationen schwerlich bis gar nicht umsetzbar wären. Die breit angelegten und offen gehaltenen Zielsetzungen ermöglichen also, dass der globale Pakt auch globale Reichweite entfalten kann und verschiedene Akteure anspricht.
Prinzipien mit Entwicklungspotenzial
Die Formulierung des Pakts als Absichtserklärung bedeutet nicht, dass einzelne Aspekte daraus nicht richtungsweisend sind oder werden können. Zum einen steht offen, dass aufbauend auf dem Flüchtlingspakt festere Vereinbarungen geschlossen werden. Zum anderen lässt sich diskutieren, ob sich aus dem Pakt an einzelner Stelle möglicherweise gewohnheitsrechtliche Prinzipien entwickeln. Die hitzige und teilweise uninformiert geführte Diskussion über Gewohnheitsrecht im Rahmen des Migrationspakts sollte über das Potenzial einer solchen Entwicklung nicht hinwegtäuschen. Gewohnheitsrecht entsteht nicht unbemerkt und plötzlich; die Beispiele von menschenrechtlichen Grundsätzen, die zu Gewohnheitsrecht erstarkten, sind Geschichten von souveränem Bekenntnis zu diesen Grundsätzen über viele Jahrzehnte hinweg. Eine solche Entwicklung kann man bezüglich des GCR allenfalls andenken. Wenn es einen Kandidaten für eine gewohnheitsrechtliche Entwicklung im Flüchtlingspakt gibt, dann ist es wohl das Prinzip der Verantwortungsteilung im Flüchtlingsschutz.
Nachdem in den vergangenen Jahren gerade von akademischer Seite immer wieder betont worden ist, dass die fehlende Regelung von Verantwortungsteilung und internationaler Solidarität im Flüchtlingsschutz Knotenpunkt vieler Probleme ist, wurde dies erstmals zum zentralen Thema internationaler Vereinbarungen. In der Vorbereitung der New Yorker Erklärung war ein globaler Pakt zur Verantwortungsteilung für Flüchtlinge im Gespräch, die New Yorker Erklärung betont in para. 68 die Bedeutung von internationaler Kooperation und das Bekenntnis zu gerechterer Verantwortungsteilung und der GCR greift das Thema mit einem eigenen Bereich (para. 14–48) sowie an zahlreichen weiteren Stellen auf. Diese Betonung hat, auch ohne genauere Vorgaben, wonach sich die Verantwortungsteilung richten soll, Bedeutung. Sie tritt der Auffassung entgegen, Flüchtlingsschutz sei lediglich die Pflicht des jeweiligen Nachbarstaats, in welchem die Fliehenden zuerst ankommen. Das Prinzip der Verantwortungsteilung unterstreicht, ebenso wie der GCR im ersten Satz betont, dass Flüchtlingsschutz eine gemeinsame Angelegenheit („common concern of humankind“) ist. Vor diesem Hintergrund erscheinen gänzliche Abschottung und Verweigerung von Staaten, sich am Flüchtlingsschutz in der einen oder anderen Weise zu beteiligen, im klaren Konflikt mit dem Pakt. Das Prinzip der Verantwortungsteilung kann zu einem wichtigen Element im internationalen Diskurs werden.
Der Blick auf Fluchtursachen
Dass der GCR Bezug auf Fluchtursachen nimmt, mag im gesellschaftlichen und politischen Diskurs in Deutschland nicht allzu neu erscheinen, da die ‚Fluchtursachenbekämpfung‘ in der bundesdeutschen und europäischen Politik jüngst ein ständiges Thema war. Dennoch liegt der Fokus des internationalen Flüchtlingsschutzes auf Menschen, die bereits geflohen sind und sich in Aufnahmeländern befinden. Dies lässt sich auf die Flüchtlingsdefinition der Genfer Flüchtlingskonvention zurückführen, nach der ein Flüchtling eine Person ist, die aus begründeter Furcht vor Verfolgung ihre oder seine Heimat verlassen und eine Grenze überquert hat. Indem der Pakt die Bedeutung der Prävention und Bearbeitung von Fluchtursachen explizit (sogar in einer Überschrift und zwei Absätzen, siehe para. 8-9) hervorhebt, wird mit dem traditionell reaktiven und exilorientierten System des Flüchtlingsschutzes gebrochen. Vielmehr wird anerkannt, dass zu einem umfassenden Schutz Geflüchteter auch die Minderung und Bearbeitung von Fluchtursachen gehören. Weiter bezieht sich der Pakt auch auf Binnenvertriebene. Dieser holistische Ansatz entspricht der Arbeit des UNHCR, die seit Jahrzehnten über Flüchtlinge im Sinne der Genfer Konvention von 1951 hinausreicht.
Der Pakt ist also breit angelegt, was die Phasen und Formen von Flucht angeht; er weitet auch den Blick auf die Beweggründe zur Flucht. So bezieht er sich nicht nur auf gewaltsame Konflikte als Fluchtmotive mit der dazugehörigen verstärkten Konfliktbearbeitung und Friedensförderung. Darüber hinaus benennt er explizit Klimaveränderungen und Umweltkatastrophen (para. 8) als Phänomene, die Fluchtbewegungen hervorrufen. Damit geht der GCR über bestehende völkerrechtliche Instrumente hinaus (siehe hierzu die Reihe zu klima- und umweltbedingter Flucht auf dem FluchtforschungsBlog) und kann zum Ausgangspunkt weiterer Entwicklungen in diesem Feld werden.
Mitsprache von Flüchtlingen
Generell stellt dieser Pakt vorrangig ein politisches Instrument von Staaten dar. Nichtsdestotrotz liegt die Annahme nahe, dass es von zentralem Wert ist, Geflüchtete in Verhandlungen des GCR zu involvieren und ihnen Raum zur Mitsprache zu geben – schließlich betrifft dieser Pakt ihren Schutz und ihre Lebensbedingungen. An dieser Annahme knüpft auch der GCR an, denn er erkennt Geflüchtete als ‚relevant stakeholders‘ (siehe para. 3) an und führt damit die Rhetorik der New Yorker Erklärung fort, in der Geflüchtete ebenfalls als wichtige Akteur*innen benannt sind (siehe para. 69). Auch vereinzelte frühere Verhandlungen involvierten Geflüchtete, etwa mit dem „Refugee Parliament“ und dem Pariser Appell während der Global Consultations von 2001. Diese waren jedoch von den zwischenstaatlichen Verhandlungen getrennt. Beim GCR kann auch kritisiert werden, dass die internationale Gemeinschaft unterschiedliche Gruppen hätte stärker involvieren sollen als beispielsweise in einem „side event“ zu Refugee voices: Closing the refugee representation gap. Zudem darf die Beteiligung als Flüchtlinge nicht über die Vielfalt der Situationen, Interessen, Meinungen und Belange von Flüchtlingen hinwegtäuschen. Dennoch ist positiv hervorzuheben, dass das Maß, in dem die internationale Gemeinschaft die Notwendigkeit und Legitimität der Beteiligung von Geflüchteten betont, neu ist. Dies ist ein wichtiger Schritt, der zudem nicht auf die Verhandlungen begrenzt ist, sondern sich auch im Ziel der Förderung der Selbstständigkeit von Geflüchteten zeigt.
Das zweischneidige Ziel der Selbstständigkeit von Flüchtlingen
Eines der vier Hauptziele des Pakts ist, dass geflüchtete Menschen nach Möglichkeit selbstständig leben können, anstatt von humanitären Maßnahmen abhängig zu sein. Dieses Ziel ist begrüßenswert und es begegnet einem zentralen gegenwärtigem Problem: Flüchtlinge leben häufig über viele Jahre in instabilen Situationen und sind auf humanitäre Leistungen angewiesen. Für effektiven Schutz und Leben in Würde benötigen Menschen eigene Gestaltungsspielräume. Zugleich hat das Ziel, die Selbstständigkeit der Geflüchteten zu fördern, eine problematische Seite. Es birgt die Gefahr, dass Geflüchtete dafür verantwortlich gemacht werden, ihre eigene Situation zu verbessern. Bei einer solche neoliberalen Verformung steht nicht mehr die Würde selbstbestimmten Lebens, sondern das Abwälzen von Verantwortung von staatlichen und humanitären Institutionen auf die Menschen im Zentrum. Dies ist prekär, da staatliche Regelungen (z.B. Arbeitserlaubnis) und gesellschaftliche Umstände (z.B. Diskriminierung beim Zugang zu Arbeit oder Wohnraum) in hohem Maße über die Lebensbedingungen der Menschen entscheiden. Zudem haben Geflüchtete vielfach traumatische Erlebnisse erfahren. Diese Ambivalenz im Ziel der erhöhten Selbstständigkeit ist daher problematisch und muss bei der Umsetzung des GCR in den kommenden im Blick behalten werden, damit die Würde, Sicherheit und das Wohl der Geflüchteten im Mittelpunkt steht. Wesentlich hierfür ist, dass die Menschen Recht auf und Möglichkeit für Mitbestimmung haben.