Gietz: Die zahllosen Gemälde waren das Hauptanliegen der Regierung, da sie in unbenutzten Gebäuden viel schneller Schaden nehmen konnten als robustere Skulpturen oder Möbel. Pietro Edwards, der erste Direktor der venezianischen Kunstakademie und Gemälderestaurator, wurde sozusagen zum Vivant-Denon der ex-Serenissima, zum Hauptverantwortlichen der Kunstpolitik. Er stellte über zwei Jahre hinweg einen Katalog von 8.000 Bildern zusammen, die eine neue Heimat brauchten, und organisierte die Zentralisierung dieser Werke in verschiedenen Depots, immer in ehemaligen Klöstern oder Scuole. Edwards entschied außerdem, welche Werke für die Krone reserviert werden sollten, d.h. in Paläste, Büros oder Gallerien in Mailand oder Paris zu verbringen waren. Natürlich spielt hier auch wieder die Ambition des Louvre als Super-Museum eine Rolle. Eher logistische, organisatorische Rollen übernahm Giuseppe Baldassini, der oft persönlich zu Kirchen und Klöstern ging, um dort die Abhängung der Bilder und deren Transport zu beaufsichtigen. Baldassini war auch für die Organisation und Durchführung von Verkäufen und Auktionen von Objekten, die von Edwards abgelehnt worden waren, verantwortlich. So wurden auch die venezianischen Bilder und andere Objekte zur Geldquelle für Napoleons Staat und seine Kriege. Die ganze Kunstpolitik wurde mittels einer höchstkomplizierten Administrationhierarchie, die dem Finanzministerium unterstand, durchgeführt.
Interessant zu erwähnen ist hierbei ebenfalls, dass nicht-christliche, religiöse Einrichtungen in Venedig alle komplett erhalten wurden. Dazu zählen alle jüdischen, griechisch-orthodoxen und armenischen Organisationen. Gegen starke Proteste wurden aber die protestantische Gemeinde der nordeuropäischen Händler in Venedig und auch der venezianische Zweig des Ordens von Malta geschlossen. Auch dies entspringt direkt dem Gedankengut der Aufklärung und der Französischen Revolution, in denen die christliche Religion ebenso wie Klöster und Kirchen für die Gesellschaft als geradezu schädlich, auf jeden Fall jedoch unnütz betrachtet wurden. Wie auch in den venezianischen Dokumenten immer wieder erwähnt wird, sind die griechischen, jüdischen und armenischen Institutionen auch „Symbole“ einer Nation. Hier schwingen Ideen des 18. und 19. Jahrhunderts, vor allem in Bezug auf den Nationalstaat und das Recht jedes einzelnen Volkes auf Unabhängigkeit und Selbstbestimmung, sehr stark mit.
Obwohl viele Werke nach 1815 restituiert wurden, wie zum Beispiel das Gastmahl im Haus des Levi von Paolo Veronese, heute in den Gallerie dell´Accademia in Venedig, und Giovanni Bellinis Madonna und Kind mit Heiligen, wieder an seinem ursprünglichen Ort in der Kirche von San Zaccaria, sind viele damals verkaufte oder weggeworfene Werke heute nicht mehr erhalten oder zumindest verschollen. Demolierte Gebäude, die nicht sofort Weiterverwendung gefunden hatten, wurden oft auch noch später, also von der österreichischen Regierung nach 1814, abgerissen und sind heute ebenfalls nicht mehr erhalten. Außerdem befinden sich immer noch viele wichtige Werke der venezianischen Schule in Galerien und Museen auf der ganzen Welt, obwohl die meisten dieser napoleonischen „Opfer“ heute immer noch in der mailändischen Brera oder im Pariser Louvre zu finden sind.
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