Wir leben derzeit in ganz fußballlosen Zeiten? In ganz? Nein, ein kleines Portal im Rheinland hält zumindest thematisch an einer der beliebtesten Sportart fest - wenn auch ausschließlich unter geisteswissenschaftlichen Gesichtspunkten. So wie in dem vorliegenden Interview mit dem Historiker Dr. Hans Woller, der sich mit einem der schillerndsten und bekannsten Protagonisten der Fußballgeschichte auseinandergesetzt hat: Gerd Müller - auch bekannt und gefürchtet unter dem fragwürdigen Namen "Bomber, der Nation". Im Mittelpunkt der Biographie des früheren Mittelstürmers steht die Kluft, die sich in Müllers Leben zwischen seiner Herkunft und seinem Leben im Rampenlicht nicht nur der Fußballwelt, sondern der Weltöffentlichkeit insgesamt auftat. Wir haben Hans Woller gefragt, wie Gerd Müller sich in einer Welt behaupten musste, auf die er nicht vorbereitet war.
"Der soziale Aufsteiger, dem die 'feinen Unterschiede' drastisch vor Augen geführt wurden"
L.I.S.A.: Herr Dr. Woller, Sie haben eine Biographie über den Fußballer Gerd Müller geschrieben. Was hat Sie veranlasst, sich des früheren Torjägers anzunehmen? Welche Überlegungen gingen Ihrer Untersuchung voraus?
Dr. Woller: Ich wollte mit dazu beitragen, der stark vernachlässigten Geschichte des Fußballs größere Beachtung zu verschaffen, den Fußball aus der Isolation im Sportteil der Medien befreien und ihn den Ghostwritern entwinden, die nur Märchen produzieren und die Geschichte des Fußballs zu Anekdoten verwursten. Das geht nur, wenn man den Fußball als gesellschaftliche Potenz ernst nimmt und in Verbindung bringt zu Politik, Wirtschaft und Kultur, wenn man mit anderen Worten: Die Fußballgeschichte in die Zeitgeschichte integriert. Ich habe das am Beispiel Gerd Müllers versucht, weil mich ein Sonderaspekt seiner Geschichte besonders interessiert hat– der soziale Aufsteiger, dem die „feinen Unterschiede“ zwischen oben und unten in unserer Gesellschaft ziemlich drastisch vor Augen geführt wurden.