Wer an Malerei denkt ist vielleicht mit dem Kopf gleich im Museum und hat prächtige Gemälde in schweren Rahmen vor Augen. Nicht so die Forschergruppe rund um Charlotte Warsen, Ludger Schwarte und Meret Kupczyk, die in einem von der Gerda Henkel Stiftung geförderten Projekt sich dem Malen als Kulturtechnik gewidmet hat. Was drücken wir aus, wenn wir zum Pinsel greifen, ihn in Farbe eintauchen, um diese dann auf eine Fläche aufzutragen? Wir haben diese und daran anschließende Frage der Malerin und Philosophin Charlotte Warsen gestellt.
"Was kann das Malen für einen einzelnen Menschen bedeuten?"
L.I.S.A.: Frau Warsen, Sie haben sich in Ihrem Promotionsprojekt unter der Leitung von Prof. Dr. Ludger Schwarte mit dem Malen als Kulturtechnik wissenschaftlich beschäftigt. Bevor wir zu einigen Details kommen – was macht Malen zu einer Kulturtechnik bzw. ist Malen nicht per se eine menschliche Praxis, die Kultur und Technik voraussetzt? Was wäre demnach das Neue an Ihrem Zugang zum Thema?
Warsen: Uns hat gewundert, dass die angewandten Anteile dieser Praxis in wissenschaftlichen Untersuchungen oft zu kurz kommen. Kunsthistorische und philosophische Untersuchungen von Malerei gehen überwiegend von Beispielen aus, die überliefert, restauriert und musealisiert sind, weil ihr Kunststatus ab einem bestimmten Punkt gefestigt war oder sie innerhalb eines Kunstbetriebs entstanden sind. Zudem wird sich meist mit fertigen Gemälden beschäftigt: Die Farbe ist getrocknet, die Betrachter*innen stehen mit einem räumlichen und zeitlichen Abstand zum Entstehungszusammenhang vor einzelnen Werken. Unser Projekt fand an der Düsseldorfer Kunstakademie statt, einem Ort also, an dem Malerei eher eine Tätigkeit ist, denn eine Summe von Gemälden. Wir haben uns gefragt, was diese Tätigkeit auch jenseits eines Kunstdiskurses und jenseits einer Infrastruktur aus Ausstellungen, Studios, Museen, Galerien und Messen ausmacht; was kann das Malen für einen einzelnen Menschen bedeuten? Was sind die Funktionen des Malens innerhalb von Kulturen, in denen Malerei stärker mit der konkreten Lebenswelt verwoben und selbstverständlicher Teil des Alltags ist? Was kann durch das Malen fühl- und denkbar werden? Und inwiefern war Malerei für die Entwicklung von Zeichensystemen, Farbsymboliken und Schriften grundlegend? Was kann Malerei, mal abgesehen von Kunst? Es ging uns also – um Claes Oldenburg abzuwandeln – um eine Malerei, die nicht nur nicht „auf ihrem A*sch im Museum sitzt“, sondern eventuell auch nie dort gesessen hat.