Die Rezeption der Schriften des griechischen Schriftstellers und Satirikers Lukian von Samosata ist kein einfaches Unterfangen. Meinte er es ernst oder machte er sich einmal mehr über etwas lustig? Diese Frage stellt sich auch mit Blick auf seine Schrift Wie man Geschichte schreiben soll (Quomodo historia conscribenda sit). Handelt es sich dabei um eine seriöse Anleitung oder ist der Traktat eine zeitgenössische Satire, in der Lukian die Bildungskultur des 2. Jahrhunderts n.Chr. verspottet? Der Althistoriker Dr. Alexander Free hat sich in seinem Dissertationsprojekt mit der Rezeptionsgeschichte von Lukians Beitrag zur Historiographie auseinandergesetzt. Wir haben ihn zu seiner Forschung und den Ergebnissen befragt.
"Lukian verspottet die zeitgenössischen Autoren"
L.I.S.A.: Herr Dr. Free, Sie wurden gerade frisch promoviert über ein Thema aus der Alten Geschichte, genauer zur Römischen Kaiserzeit, noch genauer zu einer der vielen Schriften Lukians. Das Buch trägt den Titel „Geschichtsschreibung als Paideia. Lukians Schrift ‚Wie man Geschichte scheiben soll‘ in der Bildungskultur des 2. Jhs. n. Chr.“ Dabei klingen viele Themen an: Geschichtsschreibung, Erziehung und Bildung, eine ganze Bildungskultur. Worum geht es genau? Was ist Ihre Kernthese?
Dr. Free: In der Dissertation geht es hauptsächlich um eine Einordnung der geschichtsmethodologischen Schrift Lukians in den kulturellen Kontext des 2. Jhs. n. Chr. Die Forschung interessierte sich bisher überwiegend für die Quellen der Abhandlung, ohne ihrem Autor einen nennenswerten Eigenwert zuzuerkennen. Vernachlässigt wurden die Bezüge zu zeitgenössischen Begebenheiten ebenso wie die Frage nach dem Zweck der Schrift. Im 2. Jh. n. Chr. erlebte die griechische Kultur eine neue Blüte. Wanderredner zogen von Stadt zu Stadt und unterhielten ihre Zuhörer mit Stegreifreden, in denen sie in die Rolle historischer Persönlichkeiten der griechischen Geschichte schlüpften. Bildung, auf Griechisch Paideia, war von großer Bedeutung für die gesellschaftliche Reputation. Insbesondere für die Aristokratie bedeutete sie eine unter mehreren Kategorien zur Selbstdarstellung. Die Methodenschrift Lukians zur Geschichtsschreibung, so die Prämisse der Untersuchung, stellt einen Ausdruck der Bildungskultur des 2. Jhs. dar. Im Zuge eines Feldzuges des römischen Kaisers Lucius Verus gegen die Parther soll es zu einer Flut an Geschichtswerken gekommen sein. Ihre Autoren orientierten sich an den klassischen Vorbildern der Gattung und verstanden sich selbst als Gebildete im Sinne des griechischen Paideia-Ideals. Lukian ist jedoch wenig überzeugt von den Qualitäten dieser Historiographen und setzt ihnen seine Abhandlung entgegen. Nicht nur verspottet er die zeitgenössischen Autoren, sondern er gibt auch eine Anleitung, wie Geschichte idealerweise zu schreiben sei. Die Ambivalenz zwischen Spott und Ernst macht die adäquate Beurteilung der Schrift jedoch nicht einfach. Häufig wird sie als seriöse Anleitung zur Abfassung von Geschichte gelesen. Wieso verknüpft der Autor seine Ratschläge aber mit dem ausführlichen Spott an den Partherkriegshistorikern? Die kritisierten Autoren sind darüber hinaus derart literarisch überzeichnet, dass ihre Existenz zweifelhaft erscheint. Der ironisch-spöttische Charakter der Schrift Lukians führt insgesamt zu einer Unsicherheit, wie sie zu bewerten ist. Durch die Einordnung des Werkes in seinen zeitgenössischen Kontext sollten diese und weitere Probleme aus einer neuen Perspektive betrachtet werden.