"Lügenpresse, Lügenpresse"- unter dieser Anklage vereinen sich nicht nur Anhänger und Sympathisanten der Pegida-Bewegung, sondern auch diejenigen, die das Vertrauen in die Berichterstattung der sogenannten Mainstream-Medien verloren haben. Bewusste Unterschlagung von Informationen sowie deren gezielte Manipulationen bis zur Lüge - das sei angeblich das Resultat einer politisch gesteuerten Medienstrategie. Der Politikwissenschaftler und Journalist Prof. Dr. Ulrich Teusch hält den Kampfbegriff "Lügenpresse" für pauschalisierend und daher für falsch und ersetzt ihn durch ein Konzept, das er "Lückenpresse" nennt. Aus seiner langjährigen Erfahrung in den Medien hält er diesen Begriff in seinem neuen Buch für geeigneter, um die gegenwärtigen Arbeitsweisen in den Redaktionen und die Kritik daran zu umschreiben. Was er dabei genau mit "Lücke" meint und wie er die aktuelle Glaubwürdigkeitskrise der Medien begreift, dazu haben wir ihm unsere Fragen gestellt.
"Misstrauen, Kritik, Kontrolle sind die Herangehensweisen eines mündigen Rezipienten"
L.I.S.A.: Herr Professor Teusch, Sie sind Politikwissenschaftler und Journalist und haben zuletzt ein medienkritisches Buch vorgelegt. Es trägt den sprechenden Titel „Lückenpresse“. Es ist gleich klar, auf welchen Begriff Sie anspielen und sich gleichzeitig distanzieren: „Lügenpresse“. Bevor wir auf diese vor allem semantische Verschiebung zu sprechen kommen, was hat Sie zu diesem Buch bewogen?
Prof. Teusch: Für Medien und Medienkritik interessiere ich mich schon sehr lange. Und „Journalist“ war mein erster großer Berufswunsch. Ich bin dann zwar für längere Zeit in die Wissenschaft „abgedriftet“, aber vor etwa anderthalb Jahrzehnten dann doch zu den Medien zurückgekehrt. Was nun das Buch betrifft: Mir ist es in den letzten Jahren ganz ähnlich ergangen wie vielen anderen Rezipienten auch. Ich habe mich zunehmend über Medien und ihre Berichterstattung geärgert. Und die anschwellende Medienkritik, wie sie in zahllosen Leserforen oder auch auf der Straße artikuliert wurde, hat mich weit eher gefreut als geängstigt. Denn in einer von Medien geprägten Welt kann es gar nicht genug Medienkritik geben. Ich glaube nicht, dass man Medien einfach so „vertrauen“ sollte. Im Gegenteil, Misstrauen, Kritik, Kontrolle sind die adäquaten Herangehensweisen eines mündigen Rezipienten. Als sich die Kritik dann aber immer stärker in dem Kampfbegriff „Lügenpresse“ verdichtete, erschien mir das wenig hilfreich. Es gibt nach wie vor viele integre, sauber arbeitende Journalisten; und die werden durch den Begriff „Lügenpresse“ nun pauschal mit in Haft genommen für die vielen Fehlleistungen, die andere zu verantworten haben.
Ich wollte also differenzieren. Dann ergab sich die Möglichkeit, für den SWR ein knapp einstündiges Hörfunk-Feature zum Thema zu machen. Dort habe ich vor allem selbstkritische Journalisten zu Wort kommen lassen, um zu zeigen, dass viele der Betroffenen in den Redaktionen die Probleme durchaus sehen. Letztlich ging und geht es mir darum, kritische, aber differenzierungswillige Rezipienten und selbstkritische Journalisten in einen konstruktiven Dialog zu bringen. Durch die Arbeit am Feature hatte sich dann so viel Material angehäuft, dass sich das Buch gleichsam zwanglos daraus ergab.
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Wieso "medienkritisches Buch"? Hat L.I.S.A. das Buch nnit gelesen und dennoch dazu Interwievt?
Der Grundtenor dieses Buches ist nicht die Medienkritik, sondern die Gesellschaftskritik an der derzeitigen Denk- und Handlungsweisen in und um "unsere" Medien aller Art. Es ist die politisch handende Elite, die hier kritisiert wird - nicht bemerkt?
Und ja, erst dazu gehört dann auch die bestens versorgte obere Medienelite selber, die ihr warmes anscheinend kaum kontrollierbares Nest der Abschreiber von den hochgradig vorab filternden Agenturen der obersten Medieneliten zu schätzen wissen, denen es so wenig nach "Veränderung" drängt, Mediengesellschaft halt ...
Daher Teusch:
> Denn in einer von Medien geprägten Welt kann es gar nicht genug Medienkritik geben <
Denn:
> Es gibt nach wie vor viele integre, sauber arbeitende Journalisten; und die werden durch den Begriff „Lügenpresse“ nun pauschal mit in Haft genommen für die vielen Fehlleistungen, die andere zu verantworten haben. <
und:
> Was man alles berichten könnte, steht in einem grotesken Missverhältnis zu dem, was man tatsächlich berichten kann. Die spannende Frage lautet: Wie und nach welchen Kriterien wird ausgewählt? Und da ist im medialen Mainstream seit einiger Zeit zu beobachten, dass die Nachrichtenauswahl sich immer ähnlicher wird, <
Also nicht nur strukturell und situationsbedingt ("jedes Medium ist ein Lückenmedium"), sondern auch aus sachfremden Betrachtungen (Personal- und Kosten der Recherche usw.), aus neoliberaler Grundposition (jedes Medium ist so frei - so es "frei" ist - selbst zu entscheiden, wo es vorgesiebte Nachrichten abholt oder das sein lässt) und aus Machtkalkül bezüglich der herrschenden Politikerkaste, die letztlich das einzige kleine Kontröllchen der Medien ist, wenn es um das Geld heht) - gesamt: Aus gesellschaftlicher Verwendung der Medium, unten wie oben und den irrigen Narrativen von "freien Medien", die gleich mit gemeinsam dazu konstruiert werden, denn:
> Solange sich Journalisten oder Medien innerhalb der vom politischen Mainstream vorgegebenen Bandbreite positionieren, sind sie in der Tat „unbelangbar“. Das ändert sich aber sehr schnell, wenn sie für Auffassungen Partei ergreifen, die sich außerhalb des Mainstreams befinden, < es kommt zu Lückenpresse ...
So muss ich denn (doch mal) abschreiben bei Teusch, denn das ist kaum besser zu formulieren:
> Konkret: Lücken entstehen zum Beispiel, wenn bestimmte Nachrichten regelrecht unterdrückt werden; das wären dann Lücken im Wortsinn. Der Begriff bezieht sich aber auch auf die Nachrichtengewichtung; die eine Nachricht wird künstlich hochgespielt, die andere wird zwar irgendwo gemeldet, aber bewusst unten gehalten. Oder auf die Kontextualisierung von Nachrichten: Die eine Nachricht wird tendenziös eingebettet, mit einem „spin“ versehen, die andere nicht. Dann gibt es die „double standards“, also das Messen mit zweierlei Maß. Ein Beispiel: Wenn man das Vorgehen Russlands auf der Krim als „völkerrechtswidrig“ klassifiziert – was man natürlich tun kann –, aber die völkerrechtliche Dimension bei den Kriegen im Nahen und Mittleren Osten komplett ausblendet, ist das natürlich ein doppelter Standard. Damit eng verbunden sind gewisse Sprachregelungen. Warum nennt man die Kämpfer im Osten der Ukraine „pro-russische Separatisten“, warum nicht – zum Beispiel – „moderate Rebellen“? <
oder die Milliardäre in Nordamerika nur "Philantropen" und die in Russland "Oligarchen", wo doch keine von beiden die eigenen Milliarden mit eigenen Händen (oder Köpfen) hergestellt haben ....
bleibt die Antwort von Teusch, was sich (?) zu ändern habe, als ausgesprochen gesamtgesellschaftlicher Prozess und nicht etwa nur in Medien:
> Also double standards vermeiden, sich Narrativen oder gerade angesagten Dogmen politischer Korrektheit verweigern, sich interessengeleiteten Sprachregelungen widersetzen, er müsste auf möglichst großer Bandbreite informieren und kommentieren, seine gesellschaftliche Integrationsfunktion wiederentdecken. ...<
Von wegen "medienkritisches Buch ....