Viele Einschränkungen, die im Zuge der Corona-Epidemie gegolten haben, werden derzeit nach und nach aufgehoben. Geschäfte, die bislang geschlossen bleiben mussten, dürfen unter bestimmten Bedingungen wieder öffnen, Alten- und Pflegeheime unter Auflagen besucht werden, Schulen und Kitas nehmen nach einem Reglement den Betrieb wieder auf. Überall in Deutschland? Ja und nein. In einigen Bundesländern ist mehr möglich als in anderen - was genau, entscheiden die Ministerpräsidenten oder delegieren die Ausgestaltung der Lockerung an Kommunen und Einrichtungen. Das wiederum ließ nun zuletzt die Kritik aufkommen, es herrsche in Deutschland zu viel Verwirrung über die Lockerungen. Der Föderalismus sei ein Problem, da er keine Klarheit schaffe. Stimmt das? In ihrem gemeinsamen Logbuch haben Jürgen Zimmerer und Georgios Chatzoudis diese Frage an ihre Gäste gerichtet - an die Germanistin Prof. Dr. Andrea Geier und an den Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Matthias Goldmann.
"Föderalismus war am Anfang der Krise eine Stärke"
Chatzoudis: Guten Tag zusammen! Ich freue mich, heute einen neuen Gast in unserer Runde begrüßen zu dürfen: Frau Andrea Geier – herzlich willkommen! Ein herzliches Willkommen auch Ihnen, Herr Goldmann! Heute wollen wir auf die Lockerungen blicken, die jüngst angekündigt und auch in einigen Ländern und Kommunen Deutschlands bereits umgesetzt wurden – in einigen mehr, in anderen weniger. Bislang haben wir in unseren Runden hier den Föderalismus überwiegend als ein gut funktionierendes System besprochen, weil er Macht insgesamt auf mehrere Akteure verteilt und zu regen Debatten beiträgt. Jetzt aber mehren sich die Stimmen, in denen die Umsetzung der Lockerungen als chaotisch empfunden werden. Wie sehen Sie das? Ist der Föderalismus gerade ein Problem? Bräuchten wir jetzt klarere Regelungen? Stiftet der Föderalismus mehr Verwirrung als Klarheit?
Goldmann: Föderalismus, wie er heute existiert, ist zunächst mal das Ergebnis eines historischen Prozesses, der wenig mit Design zu tun hat. Der Subsidiaritätsgedanke ist ja schön und gut, aber der heutige Föderalismus setzt ihn doch nur sehr unvollkommen und inkonsequent um.
Geier: Föderalismus als Schwäche ist ja eine fest etablierte, fast schon ritualisierte Diskussion. So wird sie auch immer wieder in Bezug auf die Universitäten, die Bildungspolitik insgesamt geführt, insofern wäre zu fragen: Was ist "Corona"-spezifisch an der Kritik?
Goldmann: Corona ist doch gerade ein Bereich, in dem sich der Sinn des Föderalismus als Wettbewerb oder Mechanismus zur Respektierung regionaler Besonderheiten kaum erschließt.
Zimmerer: Föderalismus war am Anfang der Krise eine Stärke, mehr Menschen, mehr Behörden machten sich Gedanken. Die Verwaltung war näher an den Problemen. Aber zu der Zeit gab es auch einen Konsens über die Richtung. Dieser Konsens ist jetzt nicht mehr da, und die Parteipolitik scheint wieder die Überhand zu gewinnen.
Goldmann: Das finde ich interessant, aber das spräche eher für einen Föderalismus, der letztlich zu einheitlichen Entscheidungen kommen muss.
Geier: Ich finde es nicht so sehr parteipolitisch, es geht eher um Bund vs. Länder, und das wird von den Medien ja auch vielfach so geframed: Merkel vs. Ministerpräsident*innen. Konflikte werden personalisiert.
Zimmerer: Mit parteipolitisch meine ich etwa den Kampf um CDU-Vorsitz und die Kanzlerkandidatur, den niemand führt. :)
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