In der Coronakrise wird vielen Menschen bewusst, wer zurzeit unverzichtbare Arbeit leistet. Sie stellen sich an die geöffneten Fenster oder auf die Balkone und applaudieren für Pflegepersonal und Ärzte, aber auch für Beschäftigte im Einzelhandel und für alle Helfer, die täglich gegen den Coronavirus im Einsatz sind. Es sind vor allem diese Berufsgruppen, die täglich viel Kontakt zu Menschen haben, während der Rest der Bevölkerung zuhause bleibt. Über den Applaus freuen sich alle, aber es gibt auch die Stimmen derer, die fordern, dass es bei symbolischer Anerkennung nicht bleiben dürfe. Das Pflegepersonal streitet schon seit Jahren für eine angemessene Entlohnung - zumal sich jetzt zeige, wie systemrelevant ihre Tätigkeit sei. Ist das so? Werden wir nach der Coronakrise ein neues Verständnis von systemrelevanter Arbeit haben? Macht es überhaupt Sinn, von systemrelevanter Arbeit zu sprechen? Lassen sich unterschiedliche Tätigkeiten gegeneinander aufrechnen? Und falls ja, nach welchen Kriterien? Fragen, die Jürgen Zimmerer und Georgios Chatzoudis mit ihren LogBuch-Gästen Natascha Bagherpour Kashani und Andreas Rödder kontrovers diskutiert haben.
"Immerhin wird jetzt aber sichtbar, welche Arbeiten die Systeme am Laufen halten"
Chatzoudis: Guten Tag zusammen! Schön, dass Sie wieder da sind! Unser heutiges Thema dreht sich um Arbeit bzw. den Wert und die Anerkennung von Arbeit in Zeiten der Coronakrise. Ganz pauschal gefragt: Welche Arbeiten sind aktuell wichtig oder gar unersetzlich – vielleicht sogar systemrelevant? Wobei der Begriff „systemrelevant“ sicherlich eine Ambivalenz in sich trägt, die wir später noch konkret diskutieren sollten. Sammeln wir doch fürs erste die jetzt wichtigsten Tätigkeiten. Welche wären das?
Bagherpour: Tja, naheliegend sind erst mal alle Menschen im Gesundheitsbereich. Altenpflege, Sozialpädagogen, alle, die die Lebensmittelversorgung aufrecht erhalten.
Rödder: Alles, was die Systeme im heruntergefahrenen Zustand am Laufen hält.
Bagherpour: Prinzipiell dann auch Menschen, die die Server, das Internet, die Telefonleitungen etc. aufrecht erhalten.
Zimmerer: Ich tue mich ein bisschen schwer damit, die Arbeit in wichtig und unwichtig einzuteilen. Es gibt Arbeiten, die nun unmittelbar gemacht werden müssen, und andere, die man einige Tage oder Wochen hinausschieben kann, aber nicht auf ewig. In der vernetzten Gesellschaft, in der wir leben, ist das schwer auseinanderzudividieren.
Rödder: Deshalb ist die Debatte auch ziemlich unterkomplex - klingt für mich ein bisschen wie früher "Helden und Händler"...
Bagherpour: Es ist eine Definitionsfrage und die stufenweise Auswirkung dieser Pandemie spielt auch eine Rolle. Was passiert z.B. mittel- oder langfristig mit einer Gesellschaft, die das Bildungswesen und die Wirtschaft so derart runterfährt? In jeder Phase wird es andere „systemrelevante“ Arbeiten geben.
Chatzoudis: Immerhin wird jetzt aber sichtbar, welche Arbeiten die Systeme am Laufen halten. Das sind nicht unbedingt die, die sonst viel Aufmerksamkeit und Wertschätzung erfahren. Supermarkt-Mitarbeiter zum Beispiel.
Bagherpour: Ja, auch Sozialpädagogen, Krankenschwestern und Pfleger. Alles meist unterbezahlte Berufe.