Die Bild-Zeitung hat dem Virologen Christian Drosten vorgeworfen, er sei in einer Studie über die Ansteckung von Kindern und Erwachsenen zu falschen Ergebnissen gekommen und beruft sich dabei auf andere Virologen und Wissenschaftler. Von denen haben sich inzwischen viele von dem Artikel des Boulevardblattes distanziert. Bemerkenswert daran ist, dass nun einer der führenden Virologen, der auch von der Bundesregierung als wegweisender Berater anerkannt ist, in die Kritik eines reichweitenstarken Mediums gerät. Was sind die Motive dahinter? Welche Konsequenzen sind aus diesem Meinungsumschwung zu ziehen? Befinden wir uns inmitten eines neuen Kulturkampfes um Wissen und Glauben? Diese Fragen haben Jürgen Zimmerer und Georgios Chatzoudis in ihrem Logbuch mit zwei früheren Gästen diskutiert: mit der Kunsthistorikerin Mahret Ifeoma Kupka und mit dem Historiker Andreas Rödder.
"Wir erleben ein extrem diverses und diffuses Wissenschaftsverständnis"
Zimmerer: Am Anfang der Coronakrise zeichnete sich das Verhalten in der Krise durch ein hohes Vertrauen in die WissenschaftlerInnen aus. Auch die Politik sprach mit einer Stimme. Die letzten Tage beobachteten wir Verschwörungstheorien, und nun greift die Bild-Zeitung anscheinend frontal einen der wichtigsten Virologen, Christian Drosten, an. Was ist da passiert?
Rödder: Ein Umkippen von einem Extrem ins andere: von Wissenschaftsgläubigkeit zum Wissenschaftsbashing - so ist das mit den Extremen...
Zimmerer: Wirklich so einfach?
Kupka: Ich denke mit den Lockerungen hat sich allgemein der Glaube verbreitet, dass Corona nun vorbei ist. Die Leute wollen sich nun frei bewegen. Das ist der Tenor und den greift die Bild-Zeitung auf. Für Schlagzeilen.
Zimmerer: Das Verhalten am Anfang der Krise hatte ein rationales Fundament, Aluhüte haben das nicht.
Rödder: Wir erleben ein extrem diverses und diffuses Wissenschaftsverständnis: Gläubigkeit wie in der Klimafrage, fundamentale Kritik beispielsweise an der Biologie seitens der Gender Studies.
Zimmerer: So schnell wolle ich noch gar nicht zu Gender Studies kommen, und auch zum Postkolonialismus.
Kupka: Zu Beginn war vermutlich noch viel mehr Angst vor dem Unbekannten dabei.
Zimmerer: Das kann ich nachvollziehen, aber warum den Mann selbst derartig angreifen?
Kupka: Hm. Nichts rechtfertigt das. Passt aber zum Stil der Denunzianten, das kann man in anderen Kontexten ja auch beobachten.
Rödder: Auch das ist eine Frage der Extreme: Musste die DFG ihm mitten in der Krise einen Sonderpreis des Kommunikatorpreises geben und sich auf diesem absehbar umkämpften Terrain mit der Verleihung von kulturellem Kapital einmischen?
Zimmerer: Warum hat die DFG das gemacht? Ihrer Meinung nach?
Rödder: Ich finde: Konformismus, hart am Wind gesegelt - oder auch eine Berliner Blase zwischen Wissenschaftsfunktionären und Charité...
Zimmerer: Warum macht sich eine Zeitung so sehr zur Partei?
Rödder: Wie sagte Matthias Döpfner: "Wer mit BILD im Fahrstuhl nach oben fährt, fährt auch mit BILD nach unten." Das sind die Standards der politischen Kommunikation, und auch Wissenschaftler tun gut daran, sie zu kennen.
Zimmerer: Ja, ist Drosten denn mit nach oben gefahren, mit der Bild-Zeitung?
Kupka: Den Eindruck habe ich nicht. Aber das kann man sich selten wirklich aussuchen bei der Bild-Zeitung.
Rödder: Zumindest gefahren worden, jedenfalls in der Sammelkabine der Virologen.
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