Sie war lange und bereits in einer frühen Phase der Coronakrise in der Diskussion: die Corona-Warn-App. Nun ist sie seit einigen Tagen da und soll bislang rund acht Millionen auf Smartphones heruntergeladen worden sein. In den Sozialen Medien tobt indes ein Kampf um die Berechtigung, die Nützlichkeit und die Risiken der Applikation. Schützt sie uns vor einer weiteren Ausbreitung des Virus, warnt sie uns rechtzeitig vor Infizierten, verschafft sie uns bei ausreichendem Datenschutz zusätzliche Sicherheit? Oder ist diese App unsinnig, nutzlos und letztlich der schon lange befürchtete Einstieg in den Überwachungsstaat, wie ihn einige vor allem in China bereits installiert sehen? Über diese und daran anschließende Fragen haben Jürgen Zimmerer und Georgios Chatzoudis in der vorerst letzten Ausgabe ihres gemeinsamen Logbuchs - die Sommerpause steht an - mit ihren Gästen Gabriele Metzler und Felix Wemheuer diskutiert.
"Den Trend zur Ausweitung digitaler Überwachung gibt es fast überall"
Zimmerer: Die Corona-App ist da. Kommt nun der Einstieg in den Überwachungsstaat?
Metzler: Wenn wir dem offiziellen Tenor folgen: Nein. Die Nutzung ist freiwillig.
Zimmerer: Ja, und ich weiß, (noch) ist alles freiwillig. Aber was, wenn ein Nicht-Mitmachen selbst zum Stigma wird?
Metzler: Ist es Sache des Staates oder der Gesellschaft, genau das zu steuern?
Wemheuer: Ich gehe noch einmal einen Schritt zurück: Warum Einstieg? Die Kompetenzen der Behörden zur Überwachung sind doch seit dem 11. September 2001 permanent ausgeweitet worden.
Metzler: Guter Punkt! Das wurde in den öffentlichen Diskussionen aktuell kaum thematisiert.
Zimmerer: Herr Wemheuer, dann erleben wir jetzt mit der Corona-App die Perfektionierung der Überwachung?
Metzler: Na ja. was würde noch fehlen? Flächendeckende Gesichtserkennung.
Zimmerer: Aber daran arbeiten doch einige auch schon. Und als HistorikerInnen sollten wir wissen, was technisch möglich ist, wird (irgendwann) auch eingesetzt.
Wemheuer: Den Trend zur Ausweitung digitaler Überwachung gibt es fast überall. Auch in den USA wird Face Reading von Polizeibehörden immer mehr genutzt. In China wird diese Entwicklung auf die Spitze getrieben.
Zimmerer: Was ist diese Spitze? Könnten Sie ein Beispiel geben, bitte?
Wemheuer: In China gibt es in vielen Städten einen Covid 19-Gesundheitsapp mit QR-Code in Ampelfarben. Nur wenn die App auf dem Smartphone sich "grün" färbt, darf man sich im öffentlichen Raum frei bewegen.
Zimmerer: Und die App ist Pflicht?
Wemheuer: Es wird viel an Ein- und Ausgängen kontrolliert. Die Ampelfarben sind auf den Apps der Benutzer. Bei der falschen Farbe kommt man nicht hinein. Wenn der QR-Code rot erscheint, muss man sich sofort 2 Wochen in Quarantäne gegeben. Einige Städte haben ein solches System auch in öffentlichen Verkehrsmitteln.
Zimmerer: Und wer die App nicht hat oder kein Handy?
Wemheuer: In China gibt es auch eine Allianz zwischen dem Staat und den großen IT-Konzernen wie Alibaba.
Metzler: Stimmt meine Wahrnehmung, dass es in der chinesischen Gesellschaft wenig Kritik daran gibt? Liegt das an der kontrollierten Öffentlichkeit, oder gibt es noch andere Gründe?
Wemheuer: In China kommt zu der großen Macht des Staates noch die Technik-Begeisterung der Menschen. Schon vor der Corona-Krise haben fast alle Stadtbewohner mit Apps bezahlt und Formalität erledigt. Ohne Smartphone kann fast niemand arbeiten oder den Alltag bewältigen.