Die wegen der Corona-Epidemie verhängten Verhaltensregeln werden von der Bevölkerung überwiegend eingehalten, so die Zwischenbilanz von Polizei und Politik. Selbst an einem traditionellen Familienfest wie Ostern haben sich die Menschen an die Kontaktsperren diszipliniert gehalten. Das Befolgen der Regeln, das vor allem dazu führen soll, gefährdete Menschen zu schützen, hat aber auch seine Schattenseiten. Vermehrt registriert die Polizei Anzeigen und Meldungen wegen Missachtung der Kontaktregeln. Bürgerinnen und Bürger zeigen sich gegenseitig an, beispielsweise wenn vor dem Haus des Nachbarn ein Auto mit fremden Kennzeichen auffällt. Wie ist das einzuschätzen? Ist das noch verantwortungsbewusstes Handeln im Dienste der Allgemeinheit oder ist das schon Denunziantentum, das derzeit viel beklagt wird? Diese Frage haben Jürgen Zimmerer und Georgios Chatzoudis in ihrem gemeinsamen LogBuch mit ihren neuen Gästen diskutiert: mit der Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Ulrike Guérot und mit dem Historiker Matthias Krämer.
"Stigma der Solidarität macht die 'besorgten Bürger' zu guten Menschen"
Chatzoudis: Ich begrüße die neue Runde – die Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Ulrike Guérot und den Historiker Matthias Krämer. Unser heutiges Thema dreht sich um ein Phänomen, das zurzeit viel diskutiert wird, für viel Unmut und Unverständnis sorgt, einige sogar mit Sorge erfüllt. Erleben wir angesichts der Corona-Pandemie und der verordneten Verhaltensmaßnahmen ein Wiederaufleben des Denunziantenwesens? Oder ist es nur richtig, dass wir alle darauf achten, dass die Maßnahmen nicht umgangen werden? Also, alles Denunzianten oder eher verantwortungsbewusste Bürger? Anders gefragt: Corona-Gehorsam, Denunziantentum und die Rückkehr des "Blockwarts?"
Guérot: Ich würde sagen, wir erleben neue Formen der gesellschaftlichen Kontrolle. Das ist noch nicht - oder noch nicht verallgemeinert - Denunziantentum, aber es legt natürlich den Nährboden für solchen.
Krämer: Eine Krise mit unklaren Verhaltensregeln ist eine Zumutung für alle. Rechtliche Regelungen sind inzwischen hinreichend klar und deutlich geworden. Also: Es ist die einfache Mindestanforderung an alle, sich an die geltenden Vorschriften zu halten.
Zimmerer: Aber wer überwacht die Einhaltung der Regeln?
Guérot: Die Polizei. Ich hätte da übrigens auch einige Gegebenheiten zu berichten, etwa von "sinnloser" Regelkontrolle. Zum Beispiel ich wurde von einer Parkbank vertrieben, auf der ich alleine war.
Chatzoudis: Ja, aber es ist ja eben nicht nur die Polizei, sondern es sind jetzt auch besorgte Bürger. Die neuen Hilfssheriffs?
Zimmerer: "Besorgte Bürger"? Ist das Absicht, Herr Chatzoudis?
Chatzoudis: Niemals!
Guérot: Ja, "besorgte Nachbarn", die hinter der Gardine beobachten, das gibt es auch, vor allem auf dem Dorf. Ich will es mal anders formulieren: Der Nimbus der Solidarität macht die "besorgten Bürger" zu guten Menschen und stigmatisiert diejenigen, die vermeintlich nicht solidarisch sind.
Zimmerer: Schön formuliert!
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"Je höher die Gefahrenwahrnehmung sowie das Gemeinschaftsgefühl, desto größer ist auch die Bereitschaft, andere Menschen im Falle der Nichteinhaltung der Corona-Maßnahmen bei den Behörden zu melden."
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