Das "Bedingungslose Grundeinkommen", kurz BGE, ist wieder auf der Tagesordnung. Die Corona-Krise stürzt viele Menschen in wirtschaftliche Probleme - und bewirkt einen Aufschwung der Debatten um das Grundeinkommen. Wird auf der einen Seite das BGE als Überbrückungsgeld diskutiert, sieht man auf der anderen Seite die Gelegenheit, ein lang auf der Agenda stehendes Projekt nun endlich durchzusetzen. Wie sinnvoll sind temporäre Lösungsvorschläge und was würde die Einführung eines Grundeinkommens mit sich bringen? Sind unsere Vorstellungen von Arbeit und Einkommen und unsere aktuellen solidarischen Modelle überholt? Professor Dr. Ute Fischer von der FH Dortmund, Lehrgebiet Politik- und Sozialwissenschaften, und Dr. Dorothee Spannagel von der Hans-Böckler-Stiftung, Referat Verteilungsanalyse und Verteilungspolitik, arbeiten schon lange zum Thema BGE - kommen aber zu unterschiedlichen Ergebnissen. Im Chat-Format diskutierten wir aktuelle Vorschläge der Politik sowie grundsätzliche Herausforderungen und Vorteile eines BGE in Deutschland.
"Temporäre Lösungen suggerieren, die Zahlungen seien gerecht, weil die Personen unverschuldet in Not geraten sind"
Reuter: Derzeit wird wieder verstärkt über ein Grundeinkommen diskutiert. Großbritannien, Spanien, vor allem Länder, die stark betroffen sind von der Corona-Krise, überlegen, ein Grundeinkommen einzuführen. Bei genauerem Hinsehen entpuppte sich dies jedoch häufig als eine Form von Grundsicherung, vergleichbar eher mit dem deutschen Hartz IV. Auch einige Vorschläge von deutschen Politiker*innen im Rahmen der Grundeinkommen-Debatte sehen eher nach einer Erhöhung der Grundsicherung aus als nach einer neuen Idee, die mit dem bisherigem Verständnis von Erwerbstätigkeit und Leistung brechen würde. Professor Fischer, Dr. Spannagel, wovon sprechen wir eigentlich, wenn wir von „Grundeinkommen“ reden?
Prof. Fischer: Für mich sind die Kriterien entscheidend, die wir seit Jahren in der Grundeinkommensdebatte nutzen: Ein BGE ist eine monatliche Zahlung an ein Individuum, die ohne Bedingungen (keine Bedürftigkeitsprüfung und keine Gegenleistung) gewährt wird, zeitlich unbefristet.
Dr. Spannagel: Es gibt in der Tat eine Vielzahl an ganz unterschiedlichen Modellen, die unter dem Label BGE firmieren, Das war auch schon vor Corona so. Es gibt, denke ich, drei Kriterien, die für ein "echtes" BGE entscheidend sind: Auszahlung an Individuen, nicht an Bedürftigkeit geknüpft, nicht an Bedingungen geknüpft.
Reuter: Warum keine Bedürftigkeitsprüfung?
Prof. Fischer: Keine Bedürftigkeitsprüfung, weil das BGE an alle gezahlt wird, unabhängig vom Vermögen des Einzelnen. Erst so entfaltet es seine Wirkung, dass es nicht mehr eine Stigmatisierung derjenigen ist, die "bedürftig" sind. Wichtig zur Unterscheidung ist derzeit sowohl, dass die meisten Vorschläge von temporären Lösungen ausgehen (alle Petitionen z.B.) und - noch gravierender - dass allen Befürwortungen das Grundverständnis unterliegt, die Zahlungen seien gerecht, weil die Personen unverschuldet in Not geraten sind. Also werden die Zahlungen wieder nur als Ersatzeinkommen angesehen.
Dr. Spannagel: Viele der Modelle, die derzeit diskutiert werden, sind keine "echten" BGE Modelle. "Echte" BGE-Modelle müssen alle drei der oben genannten Kriterien erfüllen.
Prof. Fischer: Genau, Frau Spannagel, ein weiteres Kriterium ist die Höhe: Ein BGE muss hoch genug sein, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, deutlich über der Armutsgrenze.
Dr. Spannagel: Eine bestimmte Höhe gehört strenggenommen als Definitionskriterium meiner Ansicht nach nicht dazu. Allerdings: Wenn das Grundeinkommen wirklich bedingungslos sein soll, muss es schon von der Höhe zum Leben reichen. Ansonsten sind die Individuen in der Praxis doch gezwungen, erwerbstätig zu sein, um sich den Lebensunterhalt zu sichern. Das ist dann nicht mehr ganz bedingungslos.
Prof. Fischer: Genau, Frau Spannagel, so sehe ich es auch.
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1200,- € für eine vierköpfige Familie sind 4800 € netto!
Die Frage ist eher, ob dann jemand noch ernsthaft für 1000 € zusätzlich Klos putzt ...
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1. Falls es BGE gibt, wird voraussichtlich Wohngeld, Kindergeld etc. wegfallen, das könnte bei einem Grundeinkommen von ca 1.200,- € wie derzeit diskutiert, für einige Gruppen zu einer enormen Verschlechterung führen.
2. besteht die Befürchtung, dass, wenn es ein BGE gibt, die Löhne sinken;
3. wie ist das mit Menschen, die in Deutschland leben und keine deutsche Staatsbürgerschaft haben - derzeit ist das Kriterium, dass man hier Steuern zahlt, das würde u.U. wegfallen.
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Wenn der wegfällt sinkt diese auch dramatisch. Damit gibt es dann auch nichts mehr zu verteilen.
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1.) Bei den Berechnungen gehen die meisten Modelle von einer gleichbleibenden Einnahmesituation wie in der Marktwirtschaft aus. Das ist geradezu absurd. Die Steuereinahmen werden wie in der Sonne schmelzen, Firmen abwandern.
2.) Wie wollen sie die (bereits jetzt aufgrund der hohen Steuerlast stattfindende) Abwanderung verhindern? Wie 1961 in der DDR? In vielen Branchen reicht es schon wenn ein paar Hundert Topentwickler abwandern, um einen ganzen Wirtschaftszweig kollabieren zu lassen (siehe dann auch als Folge 1.)
3.) Im Sozialismus war die "Unter-der-Hand-Wirtschaften" gang und gäbe. In der Sowjetunion gab es in den 80ern massive mafiöse Strukturen der Korruption. Dies ist in allen sozialistischen Staaten so gewesen. Wie wollen sie das verhindern? Mit dem Polizeistaat 3.0?
4.) Es gibt Berechnungen, wie weit ein Individuum steuerlich ausgepresst werden kann, bis es aufhört zu arbeiten. Diese Grenze würde weit überschritten.
5.) Politische Stimmungen wandern hin- und her. Es wird sich schnell eine starke "Anti-BGE-Partei" bilden, die hohe %-Zahlen macht. Was dann? Verbieten? Bautzen wieder aufmachen zum Wohle der sozialistischen Volks ... pardon BGE-Gemeinschaft.