L.I.S.A.: Folgt man Ihrer These, dass Kultur eine wichtige Legitimationsressource der DDR war, setzt man voraus, dass sie den Herrschenden von Nutzen ist und affirmativ wirkt. Kann Kultur aber nicht auch einen subversiven Charakter annehmen und Macht kosten? Anders gefragt: Kann Kultur für die Mächtigen auch zum Bumerang werden, und gibt es für diese These Anhaltspunkte in der Geschichte der DDR?
Prof. Dietrich: Bisherige Darstellungen gingen in der Regel davon aus, dass die SED-Politik die kulturellen Entwicklungen dominierte und ihre Richtung dominierte. Das führte zu einem relativ einspurigen und simplen Schema. Dagegen nehme ich eine Veränderung der Perspektive vor und favorisiere einen kulturgeschichtlicher Ansatz. Das heißt, Kulturpolitik wird als Teil des kulturellen Feldes behandelt. Der Politik wird keine Schlüsselstellung eingeräumt, sondern Kultur und Politik werden in ihrer wechselnden Hegemonie und gegenseitigen Einflussnahme betrachtet. So entstand in der DDR eine eigentümliche Verflechtung ideologischer Machtausübung mit beachtlichen Leistungen, die etwa für kulturelle Schöpfungen wie für wissenschaftliche Forschung erbracht wurden, und in denen sowohl Utopisches als auch Widerständisches umging.
Gleichwohl gelang es der SED nicht, trotz wiederholter Versuche, den kulturellen Bereich vollständig oder auch nur überwiegend zu instrumentalisieren. Im Gegenteil. Es gab in allen Zeiten der DDR kulturelle Prozesse und Werke, die gesellschaftskritisch und oppositionell konnotiert waren und die offizielle Ideologie destabilisierten. Mit den Angriffen dagegen, gewann der Dialog mit dem Publikum eine neue Qualität. Insbesondere Literatur und Kunst begannen, zu einem Organ gesellschaftlicher Selbstverständigung zu werden. Sie gaben vielen Menschen Anregung, sich gegen Pädagogisierung und vorgegebene Teleologie zu sperren. Darüber hinaus ist immer wieder festzustellen, wie gering die Durchschlagskraft der ideologischen Vorgaben war. „Von den offiziellen Doktrinen des Marxismus-Leninismus blieb die Masse des Volkes ganz unberührt, da sie keine handgreifliche Bedeutung für sie hatten“, schrieb Eric Hobsbawm im Zeitalter der Extreme, „außer dann, wenn sie an einer Karriere interessiert war, bei der solch esoterisches Wissen vorausgesetzt wurde."
Die neue Rolle von Literatur und Kunst wird zumeist mit dem Begriff der „Ersatzöffentlichkeit“ beschrieben. Nur ein Beispiel hierzu: 1995 erinnerte Volker Braun an die legendäre Lyriklesung in der Akademie der Künste 1962: „Die bloße Lesung angehäuften unveröffentlichten Zeugs, darunter einige gute Gedichte, wurde zur Sensation, zur skandalösen Störung der Kulturpolitik. Es herrschte hier im Raum eine Valmy-Stimmung – und etliche von Ihnen können sagen, sie sind dabei gewesen; man vernahm den Geist der Respektlosigkeit des Ästhetischen, dessen Sinn der universale Anspruch ist [...] Das Vorzeigen einiger Dutzend Gedichte trieb einen Konflikt heraus zwischen den produktiven und den ängstlichen Gemütern, und es begann eine Zeit infamer Debatten und zugleich famoser Lesungen: von Nachrichten, die sonst nirgendwo zu haben waren. Das war der Anfang der Gegenöffentlichkeit, die im Jahre 89 aus den Theatern, Kirchen und Versammlungen auf die Straße trat“.
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Ich bin für konkrete Aktion - Scholz hat jetzt eine Steuerjägerabteilung gegründet. Das ist konkret!
Am Ende zeigt der Blick auf den Lohnzettel das der "normale" Arbeiter in der BRD ausgesaugt wird.
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es tut mir leid, dass du das so empfindest und es ist eine Schande für ein so unverschämt reiches Land wie unseres, dass es so viele Menschen ins Elend stößt -mit Hartz IV, einer Ausgeburt des Neoliberalismus der Rotgrünen unter Schröder/Fischer, aber lobbyistisch-korruptiv angeleitet durch die Bertelsmann-Stiftung und den Beratungs-Moloch McKinsey, damals Bertelsmanns Hausberaterfirma, medial durchgedrückt vom Bertelsmann-Medienimperium (RTL, Stern, Spiegel, Randomhouse...), das den "Medienkanzler" Schröder PR-technisch aufgebaut hatte (die Grünen hatte die Bertelsmann-Stiftung listig unterwandert und neoliberal umgedreht).
Dein "Die BRD kennt ja nur noch die Belange anderer..." klingt aber so als würde "die BRD" (=die Bundesregierung?) mehr in Entwicklungshilfe investieren als in den Sozialhaushalt. Das ist Unsinn, wie man ihn leider in der medial gehypten AfD-Propaganda findet (falls du mit "Belange anderer" Hilfe für Notleidende, Flüchtlinge, Migranten meinst.
Ich persönlich finde sogar, Entwicklungshilfe sollte verdoppelt werden, aber nicht auf Kosten des Sozialetats (in den man hierzulande übrigens den Bereich "Arbeit" unfairerweise hineinrechnet, damit der Posten größer und die BRD sozialer wirkt). Der Rüstungsetat sollte reduziert werden, weil wir a) dies nicht brauchen und b) mit mehr ziviler Hilfe weltweit Kriegsgründe reduziert werden können. Die derzeitige unerträgliche Propaganda (ARD&Co!) für die Forderung aus USA/NATO nach noch mehr Überrüstung des Westblocks ist pure Barbarei. Die weltweit geführten Kriege der NATO sind oft völkerrechtswidrig, inhuman und tragen nur zu mehr Krieg, Terrorismus und Leid bei (egal ob offen geführt wie in Irak, Syrien, Jemen usw. oder verdeckt wie gegen Venezuela, Brasilien oder Bolivien). Diese Kriege sind Raubkriege um Rohstoffe und Macht -die Menschenrechte (meinst du das mit "Belange anderer"?) werden nur vorgeschoben. Verfolgt werden damit nur die Belange der Großkonzerne, Superreichen und Machteliten des Westens.
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Wie immer schon: am deutschen Wesen soll die Welt genesen.