Infolge der jüngeren Zerstörungen von historischen Stätten im Zusammenhang mit Kriegen ist das Thema Kulturerbeerhalt wieder in den Blick der Öffentlichkeit geraten. Raubgrabungen im Irak und mutwillige Zerstörungen in Afghanistan und Syrien haben dazu geführt, dass in den Überlegungen für eine Nachkriegsordnung der Restaurierung und dem dauerhaften Erhalt von Weltkulturerbe eine inzwischen gewichtige Bedeutung zukommt. Dabei sind der Schutz und die Bewahrung von bedeutenden Überresten aus der Geschichte der Menschheit alles andere als neu. Die Historikerin Marie Huber untersucht derzeit in ihrem von der Gerda Henkel Stiftung geförderten Dissertationsprojekt die Geschichte des Kulturerhalts in Äthiopien. Wir haben ihr dazu unsere Fragen gestellt.
"Entstehung des UNESCO-Welterbeprogramms steht im Mittelpunkt"
L.I.S.A.: Frau Huber, Sie erforschen zurzeit im Zusammenhang mit Ihrem Dissertationsprojekt die Entstehungsgeschichte des Weltkulturerbe-Programms der UNESCO mit Blick auf die sogenannten Entwicklungsländer, insbesondere in Äthiopien. Wie kamen Sie zu Ihrem Thema? Was interessiert Sie daran vor allem?
Huber: Im Studium habe ich mich schwerpunktmäßig mit Stadtgeschichte und Planungs- und Architektursoziologie auseinandergesetzt, auch während meiner ersten Forschungstätigkeit nach dem Studium habe ich mich mit diesen Themen befasst. Fragen des Denkmalschutzes sind in diesem Bereich der Stadtforschung oft von zentraler Bedeutung. Dabei hat sich herausgestellt, dass ich als Historikerin eine besondere analytische Perspektive einbringen kann, vor allem um die gesellschaftlichen Aushandlungsprozesse im Zusammenhang mit dem Denkmalschutz zu erklären. Da ich von vornherein das Ziel hatte, mich durch meine Dissertation mit einer internationalen Fragestellung weiter zu qualifizieren, habe ich die Frage nach der Entstehung des UNESCO-Welterbeprogramms in den Mittelpunkt meiner Forschungen gestellt.
Das äthiopische Fallbeispiel bringt sehr deutlich die bis jetzt in der Welterbeforschung noch unbeachtete Fragestellung nach der Rolle der sogenannten Entwicklungsländern zum Vorschein. Diese Länder, so stellte sich im Lauf meiner Archivrecherchen heraus, hatten eine zentrale Funktion bei der Genese des Programms, denn in diesen Ländern war die UNESCO durch Entwicklungshilfeprogramme bereits Jahre vor dem offiziellen Beginn im Bereich des Natur- und Kulturgüterschutzes aktiv.
Meine Forschung war von der Frage geleitet, welche Akteure mit welcher Motivation daran mitgewirkt haben, dass es ein äthiopisches Welterbe gibt. An meinen Ergebnissen finde ich besonders spannend, wie vielschichtig und komplex das Thema Welterbe ist – und wie effizient über das Welterbeprogramm als eine Art Plattform eine Vielzahl von teilweise sehr unterschiedlichen Interessen umgesetzt werden können. Das gilt für die Anfangszeit ebenso wie heute noch.