Die Praxis Kredite abzusichern, ist mindestens so alt wie das Geld selbst. Im Zuge der Etablierung von Nationalstaaten im 19. Jahrhundert veränderte sich das Kreditwesen aber entscheidend. Der Staat setzte rechtliche Rahmen für die Finanzmärkte und unterwarf damit auch das Kreditgeschäft seiner Gerichtsbarkeit. Der Rechtshistoriker Dr. Sebastian Keding von der Universität Bonn hat in seiner Dissertation untersucht, wie der Staat im 19. Jahrhundert über das Kreditsicherungsrecht versucht hat, die Finanzmärkte zu steuern. Wir haben ihn zum Verhältnis von Staat, Recht und Finanzmarkt sowie zu möglichen Parallelen zur Gegenwart interviewt.
"Schuldverschreibungen in dieser Komplexität kannten die Zeitgenossen nicht"
L.I.S.A.: Herr Dr. Keding, Sie beschäftigen sich als Rechtshistoriker vor allem mit Staat und Finanzmarkt im 19. Jahrhundert. Was würden wohl Finanzexperten und Politiker des 19. Jahrhunderts über die aktuelle Finanz- und Schuldenkrise sagen? Wäre ihnen der Konflikt vertraut oder wäre ihnen die gegenwärtige Situation eher fremd und unverständlich?
Dr. Keding: Die prägenden Merkmale der aktuellen Finanzmarktkrise in all ihren Einzelheiten wäre ihnen wohl nicht bekannt. Dafür sind der Finanzmarkt und auch seine Produkte heute ungleich komplexer als damals. Als Beispiel mögen insoweit Zertifikate oder Swap-Geschäfte dienen – Schuldverschreibungen in dieser Gestaltungskomplexität kannten die Zeitgenossen nicht.
Gleichwohl gibt es Einiges an aktuellen Anlage- und Vertriebsformen, wie auch an Verhaltensweisen am Markt, die den damaligen Zeitgenossen bekannt vorkommen dürften und auch die heutige Situation für damalige Zeitgenossen nachvollziehbar machen dürfte: Damals wie heute handelte man beispielsweise mit Aktien und einfach strukturierten Schuldverschreibungen. Hierbei leisteten die Emittenten zum Teil Provisionszahlungen an Berater für die erfolgreiche Platzierung der Papiere beim Anleger – in der Sache handelt es sich insoweit um nichts anderes als Kick-Backs, die im Rahmen der Krise ab 2007 die Rechtsprechung in einer Vielzahl von Prozessen beschäftigten.
Auch gruppendynamische Effekte im Sinne eines kollektiven Runs in bestimmte Produkte und Teilmärkte, wie auch die Flucht aus denselben, kannte man. Als Beispiel mag hier die Phase der Gründerjahre ab 1871 und der anschließenden Gründerkrise ab 1873 dienen: Während das Geld aufgrund der vielversprechenden Rendite zunächst in Aktien strömte, kam es ab Mitte 1873 mit dem Zusammenbruch einer Vielzahl von Aktiengesellschaften zu einer weitgehenden Abstandnahme von diesen Produkten. Das Geld strömte stattdessen in vermeintliche sichere Anlagemöglichkeiten wie den Grundbesitz. Das wiederum zog eine Blase auf dem Immobilienmarkt – besonders dem Berliner Immobilienmarkt – nach sich, die dann um 1876/77 platzte. Im Kern stellte sich für die Zeitgenossen durchgängig, speziell aber in Krisenphasen die Frage: Wie kann man das Vertrauen in den Finanzmarkt oder in einzelne Anlageprodukte (wieder-)herstellen? Und genau diese Frage ist es ja im Ergebnis, die auch die heutigen Akteure umtreibt.